TCs BUCHREGAL - DIE WOHLGESINNTEN von JONATHAN LITTELL

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Offline Thomas Covenant

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    Vorwegnehmend möchte ich sagen dass ich weder ein WWII Afficinado noch sonst grossartig an Hitler und Konsorten interresiert bin. Aufmerksam bin auf dieses Buch durch Lonewolf und die Presse geworden die ja nur so von Meisterwerk getrommelt haben. Ein 1400 Seiten Buch über einen SS-Standartenführer in den Jahren 39-45 episch und historisch akurat aufbereitet erschien mir Reiz genug dann mal zuzugreifen nur......

    ......unterhaltsame Spannungsliteratur ist das Buch nicht. Im Gegenteil DW ist eine monströse, das Gewissen und Gefühlsempfinden stark belastende Sache. Ich habe relativ lange benötigt das Buch zu beenden, da ich mich oftmals zwingen musste weiterzulesen. Wenn man abends entspannen will ist dass Hinabsteigen in Massengräber nicht das probateste Mittel.

    Im Epilog spricht uns Dr. Max Aue direkt und persönlich an. Diese Ansage des Protagonisten ist der Schlüssel zu diesem Buch. Es gelingt dem Erzähler auf ein paar Seiten beim Leser eine äusserst unangenehme Blickwinkelveränderung herbeizuführen und wirklich zu hinterfragen warum und wieso und auch weshalb eigentlich jedermann zu unglaublichen Greueln fähig ist. Derart aufgewühlt taucht man dann in Niederungen hinab die bar jeder Worte sind. Doch Littell findet die Worte und schreibt mit geradezu pedantisch analytischem Detailwissen von den Greueln der Nazizeit.

    Wir alle hier lesen gerne Horrorbücher und finden dabei Entspannung und halten uns für ziemlich abgebrüht, doch für mich persönlich ist diese Buch eine Grenzerfahrung. An Brutalität, Mord und Totschlag ist das Buch schon durch die schiere Anzahl der Toten durch die Endlösung nicht mehr zu übertreffen. Littell verschont den Leser nicht mit seitenlangen Exekutionen von Kindern und Frauen die bis ins kleinste erschreckende Detail geschildert werden. Darum herum beschreibt er die banalsten Dinge, Geschehinisse und Dialoge die nebenbei  ablaufen und bewirkt das Gefühl Beobachter zu sein, nein geradezu leibhaftig beizuwohnen.

    Stellvertretend sei eine Passage geschildert, die so absurd und eigentlich pervers ist, aber aufgrund ihres himmelschreienden realen Fundamentes wegen auf mich sehr abstossend gewirkt hat.

    An Weihnachten läst der Führer den Befehl ergehen, dass ab sofort auch alle Frauen und Kinder jüdischer Abstammung getötet werden sollen. Dies führt unter den SS- Leuten zu Aufruhr und Konflikten die erstmal in Fatalismus und Alkohol ertränkt werden. Am nächsten Tag beginnt das Exekutieren welches viele Offizier dann auch innerlich Kolabieren und hysterisch werden lässt. Am Ende eines blutigen Tages mit hunderten von Exekutionen wird den Erschiessungskommandos als Verpflegung Blutwurst kredenzt, was wiederrum den Oberbefehlshaber nahezu den Verstand verlieren lässt und auch meine Person das Buch fassungslos beiseite legen liess.

    Die Handlung des Buches führt den Leser nach Polen, ins Warschauer Ghetto, nach Czechien, Stalingrad, Frankreich Berlin und am Ende in die Konzentrationslager. Wir erfahren das Aue ein Homosexueller ist, er hatte ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Schwester, seiner einzig wahren Liebe, wird zum Mörder seiner Mutter und tötet letztendlich auch noch seinen einzigen Freund. Er ist hochgebildet und ein Liebhaber klassicher Musik. Littel hat mit dem Buch nebenbei noch einen Bildungsroman vorgelegt. Was man hier über den Nährboden des NS-Regimes erfährt hat mein Bewusstsein enorm erweitert. Woher dieses ganze Rassengerede kommt, der komplette ideologische Hintergrund und auch woher die Motivation und die Energie der Endlösung kam, wurde mir während dem Lesen zum ersten Mal wirklich klar.

    DW ist ein wichtiges, ein wirklich wichtiges Buch. Es zwingt zu ernsthafter Auseinandersetzung und macht die Bestie Nazi sichtbarer wie alles andere was ich in dieser Richtung bisher gelesen habe.
    Auf die vielen obszönen und pornographischen Passagen die Littel einstreut muss man nicht näher eingehen, die sind zum Teil derart over the Top, dass man sie kaum ernst nehmen kann. Am Ende des Buches, hier gehen Littell dann die Pferde durch ( seitenlanges Masturbieren bis zum penetrieren von Bäumen) blieb nur noch Kopfschütteln.

    Das Buch als Skandalbuch abzutun, aufgrund seines Sex und Blutgehaltes ist verfehlt. Gerade der graphische Detailismus der ohne Effekthascherei vorgetragen wird wirkt unglaublich lähmend.

    Bleibt zu sagen, dass dieses Buch eine Leseerfahrung ganz besonderer Art ist. Es bringt einen in seinem Verständnis wie das NS Regime funktionieren konnte wirklich weiter-mich zumindest.
    Dieses Buch muss man lesen wollen, es sollte das erklärte Ziel sein zu verstehen was damals passiert ist.
    Als Unterhaltung taugt es überhaupt nicht und das ist gut so.  :!:

    « Letzte Änderung: 01. Mai 2012, 22:51:34 von Thomas Covenant »


    Offline Havoc

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      Ach Gunther,.... eigentlich wollte ich diesem Buch entgehen.
      Aber nun hast du meine Neugier doch geweckt.
      Wenn es wirklich eine so gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema "Warum werden Menschen zu Bestien?" ist,
      finde ich es wieder hochinteressant.
      Bisher hat es mich eher weniger interessiert da ich dachte, dies wäre nur ein gehyptes "Schock/Skandal"- Werk.

      Jetzt sollte ich wohl die Woche über einen Umweg um jede Buchhandlung machen....
      “When I ride my bike I feel free and happy and strong.  I’m liberated from the usual nonsense of day to day life.  Solid, dependable, silent, my bike is my horse, my fighter jet, my island, my friend.  Together we will conquer that hill and thereafter the world”


      Offline JasonXtreme

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        Danke Gunther! Das bestärkt mich darin es dann mal anzugehen - als Unterhaltung sah ich das ohnehin nicht, wenn es dazu dient wie Du schreibst,dann werd ich mal zusehen, ob ich das bis zum Ende durchhalte.
        Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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        Ich hab ihn in der hiesigen Bibliothek vorbestellt - krieg ich mit viel Glück so ca. Mitte April. Bevor ich 40 Teuronen investiere, muss ich das Buch erst mal genauer in Augenschein nehmen und zumindest stellenweise mal reinlesen... Bin gespannt. Aber nachdem ich mich in den letzten Jahren ausgiebig mit dem Thema Holocaust und den Gräueltaten der Nazis beschäftigt habe und auch einiges aus erster Hand bei persönlichen Treffen mit einem Holocaust- und KZ-Überlebenden erfahren habe, glaub ich nicht, dass mich der Roman jetzt derart schocken wird. Ich denke, dass ich ihn wohl eher als Belletristik mit Holzhammereffekt betrachten werde, nicht aber als Buch, das allzu viel neue Erkenntnisse vermitteln wird. Natürlich kann ich mich täuschen, aber ich werde auf jeden Fall die nötige Distanz zu Littels angeblicher(gewalt-)pornographischer Fantasie zu wahren wissen.

        Der Lonewolf Pete

             



        Auch ich habe mir nun den Jonathan Littel angetan - und muss sagen, dass ihm die negativen Kritiken und jene Kritiker, die ihn ob seiner gewaltorgien und pornographischen Segmente gnadenlos verrissen, Unrecht tun.

        Ich würde das Buch nicht, um es vorweg zu sagen, als Meisterwerk bezeichnen (ich tu mir da ohnehin schwer), und ich würde den Roman auch nicht als "Jahrtausendroman" bezeichnen, wie es jemand bei Amazon tat.

        Aber - der Roman ist ein ungemein wichtiges Buch. Er öffnet all jenen, denen sich die ungeheure Massenvernichtungs-Maschinerie der Nazis bislang nicht so richtig erschlossen hat, die Türen und vor allem die Augen. Mit einer Kaltschnäuzigkeit, die ihresgleichen sucht, beschreibt Littell distanziert und betroffen zugleich, wie generalstabsmäßig auf dem Reißbrett bzw. beim Dinieren die systematische und kosteneffektive Vernichtung der europäischen Juden geplant wurde und nachher auch durchgeführt wurde. Littells Hauptfigur ist an allen Gräueltatorten zugegen, und bei aller als Sensationshascherei anmutenden Schilderung schafft es Littel doch immer wieder, glaubwürdig die Abscheu zu schildern, die in der Hauptperson angesichts der systematischen Massenmord-Maschinerie aufkommt. Letztlich aber reduziert Littell die Beweggründe der eigentlichen Mörder, jener Männer, die den Finger am Abzug hatten, die das Zyklon B in die Schächte der Gaskammern einfüllten und die Türen der Gaskammern schlossen, jener Männer, die ihre Opfer prügelten und misshandelten bis aufs Blut, auf die Ebene, die Dutzende Psychologen schon in den vergangenen Jahren diesen Mördern bescheinigten - dass sie aus krankhaft sexuell gesteuerten bzw. begründeten Motiven handelten.

        Lässt man die vergleichsweise wenigen und bei weitem nicht so drastischen (wie von der Kritik angekreidet) Gewaltdarstellungen und die sexuellen Fantasien beiseite, ist die Kälte, die Emotionslosigkeit und die nüchterne Darstellung der Planung des Massenmords und der Nazi-Hierarchie und -Ideologie allein schon dazu angetan, dem nicht ganz so abgebrühten Leser eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken zu jagen.

        Das Buch ist keines, das man als Urlaubslektüre empfehlen kann. Es dient auch nicht der Entspannung. Und für Leute, die harte und härtsete Sachen gewöhnt sind (so wie ich), sind auch die Gewaltdarstellungen und sexuellen Schilderungen eher harmlos (die Darstellung der Nazi-Massaker in Dan Curtis' TV-Verfilmung von Herman Wouk's "Feuersturm und Asche" waren z.B. bei Weitem schlimmer als das, was Littell in seinem Roman beschreibt). Aber die Härte ist ja auch nicht Sinn und Zweck dieses Romans, sondern die Aufklärung und die Verdeutlichung der Nazi-Verbrechen. Und wer das Buch nur lesen würde, um posthum Zeuge der schlimmsten Nazi-Verbrechen zu werden und auf graphische Darstellung hoffen, wäre sowieso krank.

        Daher glaube ich, dass sich die Mehrzahl der Kritiker, die sich an den Gewaltdarstellungen erbost haben, kaum mit dem Thema Holocaust eingehend befasst haben und wohl zum ersten Mal mit relativ "harter" und drastischer Literatur konfrontiert wurden.

        Für mich ist das Buch eher eines von vielen zum Thema, das mir Informationen lieferte und auch eine noch deutlichere Sichtweise zum Thema Holocaust / Naziverbrechen, aber es ist kein Buch, das ich mir (zumindest für diesen Wahnsinnspreis) in den Bücherschrank stellen würde, um es nochmals zu lesen. Als eingefleischter Pulp Fiction Fan würde dieser Roman sowieso nicht in meine Sammlung passen, aber es war mir wichtig, das Buch gelesen zu haben.

        Und all jenen unter euch, die sich mit der Thematik erstmals oder nochmals eingehend befassen möchten / müssen, sei der Roman auf jeden Fall empfohlen.

        Alle anderen, denen sowas zu schwer ist und die lieber bei der Pulp Fiction Unterhaltung bleiben möchten, sei an dieser Stelle gesagt, dass es in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts tatsächlich ein "Meisterwerk" der Pulp Fiction Literatur gab - ein Meisterwerk, das sich über weit mehr als 100 Bände zog und von einem Amerikaner namens Lester Dent geschrieben worden war - und dessen Held durfte sogar, man staune, gegen die Nazis kämpfen. Selbstredend erschienen diese betreffenden Nazi-Romane nicht in Deutschland. Der Name des "meisterhaften" Helden? Clark (nee nicht Superman) Savage Jr. Von seinen Freunden DOC SAVAGE genannt. Von seinen Feinden "Der Bronzemann" genannt. Von Lester Dent so meisterhaft geschrieben, dass er in jedem Roman Wörter benutzte, bei denen selbst die Amis Webster's Enzyclopedia oder den Thesaurus brauchten, um sie nachzuschauen.

        DAS war ein Meisterwerk. Aber das ist eine andere Geschichte und gehört auch an eine andere Stelle. Weil diese Romane unterhaltsam sind.

        Jonathan Littel's Roman ist es nicht. Und will es auch nicht sein. Und gerade deswegen sollte man ihn sich ruhig auch mal antun.

        Der Lonewolf Pete

             


        Offline Lionel

        • Angemeldet: 29.06.02
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          Wusste ich doch, dass hier ein Review rumgeistert..sogar zwei!!

          An die, die es gelesen haben: Gunther, deutsch? Pete, englisch? Ist die deutsche Fassung denn nun unzensiert?


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          Offline Thomas Covenant

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            Ja in deutsch gelesen. Und ich denke auch unzensiert. Nachdem was im Buch so geschrieben wird denke ich nicht dass was fehlt.


            Offline Lionel

            • Angemeldet: 29.06.02
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                • Show only replies by Lionel
              Ja in deutsch gelesen. Und ich denke auch unzensiert. Nachdem was im Buch so geschrieben wird denke ich nicht dass was fehlt.
              Ok, danke. Gut zu wissen.


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              Offline ap

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                • PARENTAL ADVISORY: Explicit Lyrics
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                Offline JasonXtreme

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                  Ich hatte mal angefangen, aber die Lust verließ mich recht schnell. Wird aber noch angegangen, da die 36 Euro ja auch gerechtfertigt sein müssen :lol:
                  Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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                  Offline Thomas Covenant

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                    Bei dem Buch muss man mental schon gut drauf sein und wenn man baut ist man dies selten :-))


                    Offline JasonXtreme

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                      Hatte es schon vorher versucht :lol: aber ich bin mental immer angeschlagen, angeborener Dachschaden :lol:
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