Nokan - Die Kunst des Ausklangs
(Okuribito)
(dt. Übersetzung: "Abreise")Japan 2008
http://www.ofdb.de/film/165147,Nokan---Die-Kunst-des-Ausklangs"Als ich noch ein Kind war, fühlten sich die Winter weniger kalt an."
Daigo ist Cellist und lebt mit seiner Frau Mika zusammen in der Stadt. Sie führen ein zufriedenes und ruhiges Leben. Bis das Orchester, für das Daigo spielt, aufgelöst wird. Nun sitzt er da, ohne Job und mit einem noch nicht abbezahlten Cello.
"Das macht nichts. Ich habe Arbeit. 1 Million können wir abbezahlen!"
"18 Millionen..."
So verkauft Daigo das Cello. Abends bringt seine Frau einen Tintenfisch fürs Abendessen mit, den sie von einem Nachbarn bekommen hat, stellt aber schockiert fest, dass dieser noch lebt. Gemeinsam fahren sie an den Fluß und wollen ihn in die Freiheit entlassen - doch er treibt nur tot an der Oberfläche. Wortlos betrachten beide das Trauerspiel, bis Daigo einen Entschluss fasst: Er möchte nach Yamagata zurückkehren, seinem Heimatort. Dort können sie im Haus seiner vor zwei Jahren verstorbenen Mutter wohnen und einen Neubeginn wagen. Mika stimmt zu.
Dort trifft er auf viele Erinnerungen aus seiner Kindheit. Bekannte, das Bad, in dem er als Kind immer war, und die Schallplattensammlung und das Cello seines Vaters, der die Familie damals verließ und an dessen Gesicht er sich kaum noch erinnern kann. Eines Morgens stößt Daigo auf das Inserat einer Firma, die er aufgrund eines Druckfehlers für ein Reisebüro hält. Er stellt sich dort vor und bekommt sofort den Job. Der Chef des Unternehmens, Sasaki, klärt ihn jedoch über die tatsächliche Tätigkeit auf: Nokan. Die rituelle Aufbahrung der Toten in Gegenwart der Familie vor der Verbrennung (die übliche Beisetzungsform in Japan).
Zuerst ist Daigo schockiert, doch der Verdienst kann sich sehen lassen. So willigt er ein und erkennt nach anfänglichem Zögern die Hingabe, den Respekt, ja sogar die würdevolle Schönheit dieser Tätigkeit.
Seine Frau hingegen weiß noch nichts von der tatsächlichen Natur seiner Arbeit. Er hat ihr aus Angst davor, sie könnte nicht einverstanden sein, nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ein Bekannter von ihm meidet ihn plötzlich und sagt ihm, er solle sich einen "anständigen" Beruf suchen. Als Daigo eines Nachts zu einem "Notfall" gerufen wird, wird Mika skeptisch... und findet heraus, was Daigos Tätigkeit ist. Sie will, dass er aufhört. Aber er möchte das nicht. Als sie gehen will und er sie aufzuhalten versucht, beschimpft sie ihn als "unrein", was ihn zutiefst trifft.
Sein Eheglück und Ansehen steht auf dem Spiel wegen eines Berufs, der ein Tabu darstellt.
Abreise. In vielerlei Hinsicht. Der Übergang vom Diesseits ins Jenseits, der Abschied und der Neubeginn des Lebens. Die Akzeptanz des Todes und derer, die damit ihr Brot verdienen.
Regisseur Yojiro Takita war sich nicht sicher, ob ein Film mit diesem Thema (die Idee dazu hatte der Hauptdarsteller Masahiro Motoki) überhaupt Erfolg haben könnte. Der Tod wird in der Gesellschaft tabuisiert. Zwar wird in Filmen oftmals ausgiebig getötet, doch mit dem, was danach geschieht, setzt sich kaum jemand auseinander. Umso überraschter war er vom Erfolg des Films in Japan - und sogar im Ausland. Der Westen wurde vor allem durch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2009 aufmerksam. Ein Glücksfall, denn sonst wäre er vielleicht - wie so viele Perlen aus dem Lande der aufgehenden Sonne - untergegangen.
Ein Film, der seine Geschichte mit der dafür nötigen Ruhe erzählt. Bedachtsam gewählte Bilder, untermalt mit dem wundervollen Score von Joe Hisaishi (
Dolls, Hana-bi, Kikujiros Sommer, Chihiros Reise ins Zauberland). Bilder voller Wärme, in zumeist erdigen Farben gehalten, konzentriert aufs Wesentliche, immer im Dienste der Handlung. Trotz der doch schon melancholischen Grundstimmung schwingt oftmals ein sanfter und menschlicher Humor mit, der den Film nie ins Lächerliche abgleiten lässt, sondern ihn nur noch sympathischer macht. Es gibt ganze Passagen, in denen einem ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht liegt.
Das Ritual des Nokan wird hier oft gezeigt. Ausführlich und mit all dem gebotenen Respekt. Und doch hat man nie das Gefühl, sich immer das Gleiche ansehen zu müssen. So, wie Daigo in seinen neuen Beruf hineinwächst, so wächst der Zuschauer in den Film hinein. Man empfindet Anteilnahme. Man beginnt, Daigo zu verstehen. Als im späteren Verlauf die Mutter des bekannten, der Daigo zu einem anderen Job riet, verstirbt, und Mika Daigo zu der Zeremonie begleitet, erkennen wir den Wandel, das Verständnis und die aufkeimende Akzeptanz allein in den Gesichtern der Personen. Völlig ohne Worte vollzieht sich dies. Wundervoll gespielt und ergreifend.
An einer Stelle des Films steht Daigo auf einer Brücke und blickt auf die Lachse, die sich mühsam gegen die Strömung den Fluss hinauf kämpfen - wobei einige den Tod finden. Einen älteren Herrn, den er immer im Bad trifft, fragt er:
"Wozu die Mühe, wenn doch sowieso alles umsonst ist?"
"Sie wollen nur dorthin zurückkehren, wo sie geboren wurden."
Nokan ist ein wundervoller, herzenswarmer und zutiefst menschlicher Film, dessen Bilder und Figuren den Zuschauer in seinen Bann ziehen. Die Hauptfigur Daigo wird gespielt von Masahiro Motoki, den einige wahrscheinlich aus
Gemini und
The Bird People In China kennen. Hier überzeugt er auf ganzer Linie mit seinem vielschichtigen Können. Seine Frau Mika wird gespielt von Ryôko Hirosue, die einige noch als Jean Renos Tochter in
Wasabi kennen. Aus dem quirligen Mädchen ist eine bezaubernd natürliche Frau geworden, deren liebevolle Wärme förmlich aus dem Bild quillt. Daigos Chef ist ebenfalls nicht unbekannt: Tsutomu Yamazaki, der in einer Vielzahl von Filmen mitwirkte, von
Tampopo bis
Go.
Regisseur Yojiro Takita hat zwar noch nicht sehr viele, aber sehr unterschiedliche Filme abgeliefert. Am bekanntesten dürften hier wohl
The Last Sword und
The Yin-Yang Master sein. Gerade wer letzteren gesehen hat, wird (nach diesem Film hier) verwundert sein, wie wandelbar Takita ist. Und nach dem Academy Award steht ihm vielleicht noch Großes bevor. Zu wünschen wäre es.
Gesichtet wurde die dt. DVD von KOOL:
http://www.ofdb.de/view.php?page=fassung&fid=165147&vid=297313Tadelloses Bild, als Extra noch ein Interview mit dem Regisseur.
Trailer: