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Das Weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

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JasonXtreme:


Kurze Zeit vor dem ersten Weltkrieg in einem norddeutschen Dorf. Die Bevölkerung arbeitet für den Baron, einen Großgrundbesitzer. Ein junger Lehrer tritt sein Amt im Dorf an, und der Dorfarzt erleidet einen schrecklichen Unfall zu Pferde. Während dieser im Krankenhaus weilt, häufen sich jedoch noch mehr schreckliche Vorkommnisse und man ist ratlos, was denn dahinterstecken mag...

Mehr möchte ich zur Handlung garnicht erzählen, nur, dass es definitiv keine Kindergeschichte ist, was anhand des Regisseurs Michael Haneke ja auch klar sein dürfte. Genau zu definieren, was der Film eigentlich ist fällt mir schwer. Einerseits versteht er sich ganz sicher aals Metapher auf eine ganze Generation, andererseits stellt er keineswegs ein Bild nur der damaligen Generation dar. Vielmehr zeigt Haneke auf, was Menschen tun, und wie sich ihr Tun auf andere Menschen auswirkt. Vor allem stehen hierbei die Kinder als Beispiel da, die durch Erziehung verändert werden. Erziehung fällt hier aber nicht aus wie sie wollte. Es ist vielmehr Züchtigung, Quälerei und Gutmenschengehabe, das aus Egoismus und falschen Wert und Moralvorstellungen zu etwas wird, was nicht mehr kontrollierbar ist.

Das Dorfleben von damals wurde wunderbar eingefangen, und auch die einfache Lebensart mutet sehr realistisch an. Wenn man sich an Erzählungen seiner Eltern und Großeltern erinnern kann, sieht man auch die ein oder andere Parallele, die somit nicht auf Vermutungen fußt, sondern auf Tatsachen beruht und in ihrer Gänze einfach erschreckend sind. Die Geschichte befasst sich nahezu mit allen Dorfbewohnern, denen in den 145 Minuten genügend Zeit gegeben wird, ihre Figuren charakteristisch auszuleuchten. Hierbei werden die "Dorfoberen" wie der Pfarrer, der Arzt oder der Baron bzw. der Lehrer auch als solche dargestellt. Kaum namentlich genannt sind sie Respektspersonen und Menschen, denen kein Widerwort zu erfahren hat. Gleichzeitig sind es auch jene Menschen, die absolut unmenschlich und in jeder Faser ihres Leibes rücksichtslos und egoistisch agieren. Allein drei Dialogszenen sind derart schroff und hart, dass es mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte. Diese habe ich so in Filmform noch nie gesehen, und sie werden sicherlich lange im Gedächtnis bleiben. Dies sind auch Schlüsselszenen des Films, die schlussendlich zu dem führen, was man eine Auflösung des Ganzen nennen könnte. Wirkliche Erklärungen spart sich Haneke am Ende, was aber für sich gesehen einfach passt, und zudem die Möglichkeit lässt etwas zu interpretieren.

Es finden sich auch einige Beispiele, die nicht unbedingt auf die heutigen Generationen treffen, aber dafür die damalige Situation und deren Folgejahrzehnte thematisieren. Das beste Beispiel ist das titelgebende Weiße Band, welches die Pfarrerskinder umgebunden bekommen, als Zeichen moralischer Reinheit. Stellenweise fühlte ich mich bei der mimiklosen Kinderschar auch durchaus an Filme wie "Das Dorf der Verdammten" erinnert, was sicher nicht von Ungefähr kommt, und die Ungeheuerlichkeit des Ganzen noch dezent unterstreicht. Dennoch muss man hier auch sagen, dass der Film grafisch absolut zurückhaltend ist! Durch die sehr ruhige Kameraarbeit, die viel mit langen Einstellungen arbeitet, und das vollkommene Fehlen von jeglicher Musikuntermalung, entsteht eine unheilvolle Spannung, die sich die komplette Laufzeit hindurch hält.

Hierzu tun natürlich auch die herausragdenden Darsteller ihre Leistung, unter denen auch Gesichter wie Ulrich Tukur zu sehen sind. Die beste Leistung wird aber definitiv von den Kindern gebracht. Über die gesamte Laufzeit fühlt man sich in eben jene Welt versetzt, die einem vor den Augen abläuft. Man hat ständig das Gefühl Teil dieses Ganzen zu sein, was eben auch der Grund ist, weswegen der Streifen so ein ungutes Gefühl des Wissens hinterlässt.

Ich möchte den Film auch nicht in Punkten bewerten, da ich ihn sicher nicht noch einmal ansehen werde. Er ist ziemlich anspruchsvoll, und bei Gott nicht jedermanns Sache! Am ehesten würde ich ihn hier Leuten empfehlen wie Stephan, Alex oder Akos. Man muss sich darauf einlassen können und wollen, sonst findet man hierzu absolut keinen Zugang

Max_Cherry:
Oh, danke für den Text. Der wär vermutlich an mir vorbei gegangen.
Tönt nicht schlecht.

JasonXtreme:
Wie gesagt, absolut nicht eingänglich, und ich hatte den beim Ersten Sehen nach 20 Minuten ausgemacht. Die Story hört sich im Netz teils eben eher nach Kriminal oder Mysteryfilm an - und das ist eben genau das, was der Streifen nicht ist. Ich geb ihn Dir am Donnerstag mal mit, dann würd mich Deine Meinung echt interessieren.

ap:
ich glaub mich interessiert der auch, Haneke ist für mich soweiso immer interessant.

Max_Cherry:

--- Zitat von: JasonXtreme am 14. Juni 2010, 11:19:37 ---Ich geb ihn Dir am Donnerstag mal mit, dann würd mich Deine Meinung echt interessieren.

--- Ende Zitat ---
Perfekt. Ich bin gespannt.

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