Nobody To Watch Over Me (Dare mo mamotte kurenai)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline nemesis

  • In der Vergangenheit lebender
  • Die Großen Alten
    • Videosaurier

    Nobody To Watch Over Me
    Dare mo mamotte kurenai
    (dt. Übersetzung etwa: "Niemand beschützt mich")

    Japan 2009
    http://www.ofdb.de/film/185138,Nobody-to-Watch-Over-Me

    Tokyo. Der 18-jährige Sohn der Familie Funamura wird verdächtigt, zwei Schülerinnen erstochen zu haben. Verbrechen Minderjähriger erregen immer besonders viel Aufmerksamkeit in Japan (dort ist man erst mit 20 volljährig). So ist es auch nicht weiter verwunderlich, als das haus der Familie, als es von der Polizei gestürmt wird, von Heerscharen Schaulustiger und Reportern belagert wird, die sich rücksichtslos Platz machen. Bei Verbrechen dieser Art gibt die Allgemeinheit zumeist auch der Familie des Täters Schuld, fordert Entschuldigungen bei den Opfern oder gar Bestrafung ein. Der Druck, der auf der Familie Funamura (Vater, Mutter und die 15-jährige Tochter Saori) lastet, ist enorm. Oft brechen Familien unter diesem Druck zusammen. Selbstmord ist keine Seltenheit. Ermittler und Berater sind im Haus, sofort werden Scheidungspapiere auf eindringliches Anraten hin unterzeichnet, Familienbucheinträge "umgebucht" und der Mädchenname der Mutter angenommen, um den Familiennamen rein zu waschen. Nur der beschuldigte Sohn behält seinen Namen. Die Familie wird von der Ereignissen förmlich überrannt. Saori versteht die Welt nicht mehr - und ist die Hauptzeugin für die Polizei, da sie Zuhause war, als der vermeintliche Täter zurückkehrte.



    Detective Katsuura, ein alternder Polizist, wird mit dem Schutz der Tochter beauftragt. Eigentlich hatte er einen Ausflug mit seiner in die Brüche gehenden Familie geplant, um zu retten, was noch zu retten ist - seit drei Jahren ist er traumatisiert, weil ein kleiner Junge starb, weil er einen Verdächtigen aus den Augen verlor. Doch nun muss er Saori vor der zudringlichen Presse abschirmen und ein sicheres Versteck finden - wo er versuchen soll, Informationen von ihr zu bekommen. Er schafft es zwar, mit Saori das Haus zu verlassen und nach einer waghalsige Verfolgungsjagd ein Heer von Journalisten abzuwimmeln, doch einen sicheren Ort scheint es nicht zu geben. Immer wieder kommt die Presse ihm auf die Spur. Seine Vergangenheit wird ausgegraben und er diffamiert. Zudem verbreiten sich Informationen über das Internet wie ein Lauffeuer. Kurzzeitig nimmt er Saori bei sich Zuhause auf, doch auch das währt nicht lange. In der zwischenzeit kann die Polizei es auch nicht verhindern, dass Saoris Mutter sich das Leben nimmt.



    Eine letzte Zuflucht scheint das Ferienhotel am Meer zu sein, in dem Katsuura jedes Jahr mit seiner Familie Gast ist. Der Besitzer ist der Vater des damals umgekommenen Jungen. Er hegt Sympathie für Katsuura und versteht ihn, zumal er jedes Jahr dort dem Toten Jungen Respekt erweist. Doch auch er sieht sich hin und her gerissen im Konflikt zwischen Anteilnahme und Schuldzuweisungen. Behandelt die Polizei die Familien der Täter besser als die der Opfer? Auch fällt es Katsuuda schwer, Zugang zu Saori zu bekommen. Ihr verständliches Misstrauen fällt nur sehr langsam, und es ist schwer geworden, jemandem zu trauen, wenn sich selbst Freunde als Teil der hetzerischen Masse entpuppen. Und auch dieses Versteck soll nicht lange geheim bleiben...



    Nobody To Watch Over Me ist eine richtige Überraschung. Wir lernen hier eine Schattenseite der japanischen Gesellschaft kennen (auch wenn das Problem an sich global ist). Beschäftigen sich viele Filme mit den Ermittlungen in Mordfällen, geht es hier primär um die davon betroffenen Menschen. In diesem Fall um die Schwester des Täters, die der Sensationsgier und dem Groll der Menschen ausgesetzt ist. Natürlich werden die Medien und Blogger hier stark kritisiert, doch ist dies nicht so plakativ, wie es erscheinen mag. Vielmehr geht es hier um Menschlichkeit. Der Film nimmt sich, seine Charaktere und den Zuschauer durchaus ernst. Großartig schon der Anfang, in dessen ersten vier Minuten in Parallelmontage Saori in der Schule zu sehen ist, während ihr Bruder verhaftet wird. Eine ganze Familie bricht auseinander, noch bevor ein Wort Dialog gefallen ist. Die Familie wird in eine Situation geworfen, für die sie nichts kann. Übereilt verbreitete Informationen und Hasstiraden lassen eine wahre Hexenjagd vom Zaun brechen. Und mittendrin die zerbrechliche und instabile Saori, die nicht weiß, wie ihr geschieht. So zeigt der Film die Gefahren auf, die durch die modernen Medien entstehen können, aber ebenso auch die Zerbrechlichkeit des Familiengefüges. Gerade in Zeiten, wo man Zusammenhalt benötigt, allein zu sein.

    Regisseur Ryôichi Kimizuka - bisher hauptsächlich als Autor in Erscheinung getreten (Kansen, Bayside Shakedown, Parasite Eve) - schuf hier einen Film, der ganz klar anprangert, jedoch ohne falschen Pathos. So hoffnungslos und bedrohlich viele Szenen (zumeist mit Handkamera treffend eingefangen) auch sind, so gibt es immer wieder ruhige und gefühlvolle Momente der Hoffnung. Zeichen von Verständnis, wenn sich nicht alle blind von der Hysterie davon tragen lassen. Annäherung. Vertrauen. Und die Kraft, diese schier unüberwindbaren Hürden zu meistern.

    Katsuura ist sehr gut gespielt von Kôichi Satô (Gonin, Infection, Kamui), der seiner Rolle die Zerrissenheit und Tiefgründigkeit gibt, die sie braucht. Und grandios die junge Mirai Shida als Saori, die zwischen Trotzigkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit gefangen ist. In Nebenrollen noch Ryûhei Matsuda (Blue Spring, 9 Souls, Nightmare Detective), Yoshino Kimura (Fine, Totally Fine) und Kanji Tsuda (Sinking Of Japan, Tokyo Sonata).

    Ein eindringlicher Film, der betroffen macht. Teils erschreckend, aber dennoch gefühlvoll. Und trotz des Pessimismus, der allgegenwärtig ist, nicht gänzlich ohne Hoffnung.

    Ganz klare Empfehlung!

    Gesichtet wurde die HK DVD von IVL:
    http://www.ofdb.de/view.php?page=fassung&fid=185138&vid=317735
    Gute Qualität, aber keinerlei Extras.

    Trailer:
    « Letzte Änderung: 23. April 2011, 16:59:21 von nemesis »