Die widerlegte Katharsistheorie...

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Aus der Indizierungsentscheidung zu Scream (ist zwar schon älter, ich hatte den aber noch nicht gelesen und fand die folgende Absätze recht interessant):

'So gilt die Katharsistheorie, die medialer Gewalt eine Eignung zum Aggressionsabbau unterstellt, inzwischen als eindeutig widerlegt. Sie wurde in den sechziger Jahren maßgeblich von dem Psychologen SEYMOUR FESHBACH verfochten. FESHBACH selber hat diese Theorie nicht bestätigt gefunden, ist vielmehr zu dem Ergbenis gelangt, "daß die Bedingungen, unter denen eine Katharsis auftreten kann, nicht alltäglich sind, während aggressionsfördernde Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen" (zit. nach KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 60).

FESHBACH´s Revision entspricht der aktuelle Stand der Wirkungsforschung. Übereinstimmung besteht dahingehend, daß Gewaltdarstellungen mit einem Wirkungsrisiko verbunden sind; anders ausgedrückt, daß violente Medieninhalte unter bestimmten Bedingungen einen Beitrag zur Stabilisierung bzw. zum Aufbau gewalttätiger Persönlichkeiten leisten.

GROEBEL und GLEICH geben den aktuellen Stand der Wirkungsforschung wie folgt wieder: "Auch wenn schädliche Wirkungen von Mediengewalt pauschal nicht nachweisbar sind: Es gibt bedeutend mehr Indikatoren für ein Wirkungsrisiko als für eine generelle Harmlosigkeit oder gar Nützlichkeit aggressiver Darstellungen. Gewaltdarstellungen bewirken im wesentlichen eine Verstärkung oder Konstituierung angstbesetzter und aggressiver Weltbilder, die aufgrund fehlender unmittelbarer Erfahrungen der Rezipienten nur schwer korrigiert werden können. Durch mediale Gewaltdarstellungen wirkt das gesellschaftliche, ohnehin schon eskalierende Aggressions- und Gewaltpotential noch bedrohlicher, als es tatsächlich ist. In diesem Zusammenhang wird der Glaube an die Angemessenheit aggressiver Konfliktlösungsstrategien genährt. (vgl. Groebel/Gleich: Analyse der Gewaltprofile von ARD, ZDF, RTL, SAT 1, Tele 5, Pro 7. Landesanstalt für Rundfunk/Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 1992, S. 6f; S. 20F).

Die Autoren kommen an anderer Stelle zum Schluß:

"Die eine "Beweisstudie" zu fordern geht ..... an der wissenschaftlichen Realität vorbei .... Dennoch ist das Wirkungsbild sehr viel eindeutiger als in der Öffentlichkeit und auch in manchen Lehrbüchern häufig dargestellt. Fast alle bislang wissenschaftlich durchgeführten (d.h. empirisch kontrollierten) Untersuchungen demonstrieren einen kurzfristig eindeutigen Verhaltenseffekt von Fernsehgewalt und eine längerfristig zumindest noch überfällige Korrelation zwischen der Menge der Fernsehgewalt und aggressiven Tendenzen." (zit. nach: Groebel & Gleich: Gewaltprofile des deutschen Fernsehprogrammes. Opladen 1993, S. 24f.).

Von besonderer Bedeutung für die Einschätzung möglicher langfristiger Wirkungen von Mediengewalt ist eine Langzeitstudie des britischen Medienforschers BELSON. BELSON untersuchte an einem repräsentativen Konsum von 1565 männlichen Jugendlichen die Beziehung zwischen dem langfristigen Konsum von Fernsehgewalt und Einstellungs- bzw. Verhaltensänderungen. Die Ergebnisse stellen unter Beweis, daß der langfristige Konsum spezifischer Formen von Fernsehgewalt eine Zunahme interpersonaler Gewalt begünstigt. Dieses gilt insbesondere für
a) Sendungen, in denen enge persönliche Beziehungen ein Hauptthema bilden und in denen verbale und psychische Gewalt gezeigt wird:
b) Sendungen, in denen Gewalt um ihrer selbst willen gezeigt wird;
c) Sendungen, in denen fiktive Gewalt in realistischer Weise gezeigt wird;
d) Sendungen, in denen Gewalt im Dienste einer "guten Sache" gezeigt wird... .
BELSON führt die Feststellung, daß hoher Konsum von Fernsehgewalt mit häufiger Verwicklung in Gewalttätigkeiten verbunden ist, auf einen unbewußt erfolgenden Desensibilisierungsprozeß zurück. Mit diesem geht eine Enthemmung, d.h. ein Abbau der Schranken, violentes Verhalten zu zeigen, einher. (vgl. KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 118f.).'