Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück

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Online JasonXtreme

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    Mein Hang zu Filmen mit realen Hintergründen sollte mittlerweile ja durchaus bekannt sein, daher ist es wohl auch wenig verwunderlich, dass ich mir den 2015 entstandenen Thriller Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück Für eine Rezension ausgesucht habe. Die Thematik der Sektengemeinde um Paul „Pius“ Schäfer, der diese in den 60er Jahren in Chile gründete, interessiert mich seit jeher sehr, und ich war natürlich gespannt wie das filmisch umgesetzt sein wird. Natürlich könnte man daraus gut eine reißerische Nummer machen, obschon die Grausamkeiten physischer und psychischer Natur ungleich hoch waren. Regisseur Florian Gallenberger bastelte daraus aber eine teils fiktive Geschichte, die trotzdem die Fakten auf den Tisch zu bringen weiß. Mit John Rabe überzeugte er mich bereits, als er das Nangking-Massaker aufarbeitete, ungleich gespannter war ich also auf diese Arbeit.

    Wir befinden uns in Santiago de Chile im Jahr 1973. Daniel unterstützt den sozialistischen Präsidenten Allende, und erhält einen Überraschungsbesuch seiner Freundin Lena. Am Morgen des 11. September ist plötzlich alles anders. Augusto Pinochet stürzt in einem Putsch Allende, das Militär sondert die Sympathisanten aus. Menschen werden hingerichtet, Daniel wird in die Colonia verschleppt, und soll unter Folter sein Tun für Allende gestehen. Lena schleust sich heimlich in die Colonia Dignidad ein um Daniel zu befreien, doch dort herrscht Paul Schäfer mit eiserner Hand. Frauen und Männer sind getrennt untergebracht, die Regeln sind hart und unmenschlich, jede Tat hat sofortige und schmerzhafte Konsequenz. Lena gibt trotz allem nicht auf, und versucht Daniel ausfindig zu machen…

    Natürlich gibt die Geschichte um Lena und Daniel soviel nicht her, aber sie ist erfreulicherweise ohne großen Kitsch und einen Aufhänger um ins Geschehen zu kommen braucht man auch. Daniel Brühl und Emma Watson spielen richtig gut auf, und tragen ihren Teil dazu bei, dass die Handlung um die beiden Hauptakteure Sinn macht, und gerade Brühl hat sich für mich wirklich zum Darsteller gemausert, der international absolut bestehen kann. Das eigentliche Thema ist hier jedoch die Colonia Dignidad und Paul Schäfer, und da hat Gallenberger wiedermal ganze Arbeit geleistet. Ganze vier Jahre recherchierte und arbeitete er an diesem Film, ein ähnlicher Aufwand wie seine zwei Jahre Aufenthalt in China damals für John Rabe. Die Machenschaften von Schäfer, die Verbindungen zum Pinochet-Regime und die Bereitstellung der unterirdischen Gänge als Folterverließ für dessen Geheimdienst, der Waffenhandel, die pädophilen Neigungen Schäfers sowie dessen sadistische Ader und das knallharte und unmenschliche Führen der Kolonie wurden mehr als prägnant eingefangen.

    Das liegt zum einen an Gallenbergers Recherchearbeit und dem Fakt, dass er Fotos und Berichte sichten konnte, die vorher nie jemand zu Gesicht bekam, zum großen Teil aber an einem Mann: Michael Nyqvist! Der Hauptdarsteller der Stieg Larsson Millenium-Trilogie, mittlerweile auch aus John Wick oder Mission Impossible – Phantom Protokoll, stellt hier eine derart hassenswürdige personifizierung der Figur Paul Schäfer dar, dass man ihm permanent den Tod wünscht. Vor dieser Leistung muss man einfach den Hut ziehen. Der Hass und die Verachtung die er mit einem Blick versprühen kann, die Lust am Quälen und psychischen Herabsetzen von Personen, habe ich in einem Film selten so authentisch gesehen. Auch die restlichen Darsteller fügen sich hervorragend ins Gesamtbild ein, auch wenn sie oftmals nur schmückendes Beiwerk sind, und charakterlich nicht vertieft werden, da sie der möglichst realistischen Darstellung der Gepflogenheiten und des Alltags in der Colonia sind.

    Die gezeigten Grausamkeiten belaufen sich weniger auf die Folterungen des Geheimdienstes, als vielmehr auf das Geschehen in der Kolonie selbst. Vieles wird nur angedeutet, im Falle Daniels Folterung kurz eingeschoben, oder die kleinen Szenen in denen näher auf Schäfers Hang zu Kindern eingegangen wird. Gerade diese Szenen nehmen einen aber durchs Wegschwenken mehr mit, als man es vermuten würde. Die Szene in der Dusche, in der Pius den Kinderchor singen lässt, während er sich die Schuhe auszieht und zu den drei duschenden Jungs läuft, lässt einen mit offenem Mund dasitzen. Leerlauf oder spannungsfreie Szenen existieren nicht, da Gallenberger gekonnt und recht rasant durch die Szenerie führt, was sich auch am flott inszenierten Ende zeigt, was ohne lange Umschweife den Film zu einem ordentlichen Finale führt.

    Was mich die Wertung etwas runterfahren lässt ist, dass ich gerne einen längeren Film mit tieferen Einblicken in dieses System gehabt hätte. Zwar ist die Spielzeit mit knapp zwei Stunden durchaus ordentlich, aber die Machenschaften Schäfers, die Verwicklungen mit der deutschen Botschaft, dem Waffenhandel und der Kollaboration mit dem Regime hätten noch so viel Stoff hergegeben, der in der kurzen Zeit leider nur ansatzweise angerissen wurde. Das ist rein filmisch gesehen absolut nachvollziehbar, für mich also nur ein persönliches Manko, da so die Spannungskurve einfach wesentlich prägnanter genutzt werden konnte. Für den Zuschauer, der hier einen Thriller mit realem Hintergrund sehen möchte, also sicher hundertpro die richtige Entscheidung! Am Ende weisen noch einige Texttafeln auf den weiteren Verlauf der Colonia Dignidad und Paul Schäfer hin, sowie etliche fotografische Originalaufnahmen.

    Gedreht wurde das Ganze übrigens richtig international in Luxemburg, München, Berlin und Buenos Aires, während die Produktion von Majestik, Rat Pack, Rezo Productions und Fred Film gestemmt wurde, mit Unterstützung von Pro Sieben und Sky, gefördert von der EU. Benjamin Herrmann von der Majestik Filmproduktion hat bereits für John Rabe als Produzent fungiert, und für den 2001 als besten Kurzfilm oscarprämierten Quiero ser, ebenfalls unter der Regie von Florian Gallenberger. Martin Wuttke hat übrigens eine kleine Rolle zu Beginn, in meinen Augen leider völlig verschenkt und daher unnötig. Musikalisch gibt es zeitgemäß Samba pa ti von Santana, Ain’t no sunshine und Try von Janis Joplin auf die Ohren.

     

    Eigentliche Wertung  :8: bis  :9: - aber ich haue mal die  :7: raus wegen der genannten Punkte
    Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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    Offline Havoc

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      Schönes Review.
      Den muss ich mir beizeiten mal anschauen, wenn sich die Gelegenheit bietet.
      “When I ride my bike I feel free and happy and strong.  I’m liberated from the usual nonsense of day to day life.  Solid, dependable, silent, my bike is my horse, my fighter jet, my island, my friend.  Together we will conquer that hill and thereafter the world”


      Offline Sing-Lung

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        Top Review Marco! :thumb:

        Von mir hat er nach dem Kinobesuch auch die :8: erhalten. Werde ich sicherlich nochmals schauen, auch wenn es kein Film ist, den man wöchentlich reinziehen wird.


        Online JasonXtreme

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          Danke. Brühl mochte ich früher überhaupt nicht, der spielt hier aber wirklich sehr gut, und mit Watson kenne ich ja im Grunde nix, die habe ich auch nicht für so gut gehalten. Nyqvist gehört für die Rolle ne Nomi, Punkt aus!
          Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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