Story: Am Ufer

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Offline nemesis

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    Kleine Wellen kräuselten sich an der Oberfläche des Sees. Ein sanfter Frühlingswind fuhr ihm behutsam durchs Haar. Wärmende Sonnenstrahlen durchbrachen das Blattwerk der Bäume und spielten mit dem saftigen Grün des Grases. Er schloss die Augen und sog tief die frische Luft ein. Er vernahm das Zwitschern von Vögeln, fröhlich und voller Leben.
      Sein Wagen stand wenige Schritte hinter ihm am Ende des Waldweges und er konnte die sich abkühlende Motorhaube hören. Nach langen Jahren hatte es ihn wieder an diesen Ort geführt, den Ort an dem alles begonnen hatte.
      Er sah es noch deutlich vor seinem inneren Auge. Die am Seeufer ausgebreitete Decke, auf der sie saß und ihr nasses Haar kämmte. Wassertropfen rannen über ihren Rücken und glänzten im Sonnenlicht. Mit glänzenden Augen sah sie ihn an, ein bezauberndes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war glücklich, und ebenso wie er wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass dieser Moment nie enden mochte, dieser Augenblick des Glückes den sie teilten.
     
     „Ich habe in letzter Zeit über einiges nachgedacht“, sagte sie und legte den Kamm beiseite. Sie zog ihre Beine an und verschränkte die Arme davor.
      „Worüber?“ Er zog eine Augenbraue leicht nach oben, eine unbewusste Angewohnheit von ihm wenn er aufmerksam wurde.
      „Über uns…und wie es weitergehen sollte.“
      „Weitergehen?“
      „Ja.“ Sie atmete tief durch und räusperte sich, sah kurz zu Boden und dann direkt in seine Augen. „Ich finde wir sollten langsam mal zusammenziehen. Es wäre an der Zeit dafür, meinst du nicht auch?“
      Er fasste sich mit einer Hand in den Nacken und machte ein nachdenkliches Gesicht. Eigentlich schätzte er den persönlichen Freiraum, den jeder von ihnen hatte. Andererseits…sie war die Frau die er liebte. Er genoss es, seine Zeit mit ihr zu verbringen. Ihre Gegenwart gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit, auch wenn er sich das nicht eingestehen mochte.
      „Also“, meinte er und neigte seinen Kopf etwas zur Seite, „ich dachte…ach was soll´s, wieso eigentlich nicht? Ich hätte nichts dagegen, mir morgens den Kaffee ans Bett bringen zu lassen…“ Er zwinkerte ihr zu.
      „Du Mistkerl!“ rief sie, doch ihr Lächeln verriet sie. Sie warf sich auf ihn und knuffte ihn in die Seite. „Das könnte dir so passen. Wer hier wem den Kaffee ans Bett bringt werden wir noch klären!“
      Er lachte und umarmte sie, und sie wehrte sich spielerisch, kitzelte ihn bis ihm der Bauch schmerzte. Aber er ließ sie nicht los. Nie wieder wollte er sie loslassen. Warum konnte die Zeit nicht einfach stehen bleiben?
      Sie stemmte sich mit den Armen vom Boden ab. Die Sonne stand genau hinter ihr und umrahmte ihr Gesicht, ließ ihr Haar glänzen. Wassertropfen fielen auf seine Brust. Zuerst. Als er die Augen zusammenkniff sah er dass sie weinte. Und dennoch lächelte sie.
      Er strich über ihre Wange, über ihr Haar. Wie Seide glitt es durch seine Finger. Sie beugte sich hinab zu ihm und ihre Lippen fanden sich, begehrten sich. Hände glitten über Haut, ertasteten, liebkosten. Leidenschaft ging in Vereinigung über, zärtliche Worte wurden zu Aufschreien des Lebendigseins, bis schließlich zum letzten Aufbäumen, dass das süße Versprechen der Unsterblichkeit in sich barg.
      Ihr Kopf lag auf seiner Brust. Sie lauschte seinem Herzschlag, der sich langsam beruhigte, seinem Atem der flacher wurde. Schließlich war er eingeschlafen. Lächelnd schloss sie die Augen. So konnte es für immer sein. Gemeinsam. Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen und blickte auf den See. Die Sonne ging langsam unter, es kühlte ab. Einmal noch das herrliche Wasser spüren, sich noch einmal treiben lassen. Unbeschwert. Frei.

      Er saß am Ufer und trocknete seine Tränen. Man hatte ihre Leiche nie gefunden. Sie war verschwunden, ohne jede Spur. Jahrelang hatte er versucht darüber hinweg zu kommen, aber alles war nur sinnlos verschwendete Zeit. Es führte kein Weg daran vorbei.
      Seine rechte Hand lag in seinem Schoß. Sie umfasste den kühlen Stahl eines Revolvers. Das Abendrot wurde von der glänzenden Trommel reflektiert die gefüllt war mit Erlösung von all dem Schmerz, mit der verheißungsvollen Versprechung ewigen Friedens.
      Er drehte sich nicht um als er die Schritte hörte, die trotz des trockenen Grases feucht klangen. Er drehte sich nicht um als sich eine aufgedunsene Hand auf seine Schulter legte. Er drehte sich nicht um als er die Stimme hörte, die nach Erde und Algen und unendlicher Dunkelheit klang.
      „Ich liebe dich“ sagte sie.
      Er schloss die Augen und erinnerte sich an ihr hübsches Gesicht, an ihr Lächeln, an ihre Wärme.
      „Ich weiß“, sagte er.
      Er steckte sich die Mündung des Revolvers in den Mund und drückte ab.


    Anonymous

    • Gast
    Der Schreibstil erinnert mich an S. D. Perry (Resident Evil Romane).
    Die sind auch so toll zu lesen wie deine Geschichte....


    jup,  die Geschichte ist wahrlich gut geschrieben ... wie ein Quadrat, das keine Ecken kennt fliesst der Text weiter Satz für Satz, ohne das Gefühl zu geben aufgesetzt oder falsch in der Wortwahl zu sein.


    Anonymous

    • Gast

    Offline Necronomicon

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        • Show only replies by Necronomicon
      Gefällt mir mit am Besten was du bis jetzt geschrieben hast, nemesis. Besonders der Schluss  ;)