Essen, Zeche Carl, 18.09.2007Er betritt die Bühne, die nur von einer einizigen Deckenlampe angestrahlt wird und die gerade ausreicht, um sein Gesicht zu beleuchten. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, ein Mikrofon, ein Glas Wasser … das ist die komplette Ausstattung dieser Rezitation. Wie schon seinerzeit Ben Becker startet auch Nikolai Kinski mit „Ich – Gegensatz – Gegen mich selbst“, dem wahrscheinlich zugänglichsten Gedicht seines Vaters. Im Laufe der folgenden knapp 70 Minuten rezitiert der Sohn die vor über 50 Jahren niedergeschriebenen Gedanken des Vaters … mal leise flüsternd, mal mit bewusst stockender Stimme, mal hinaus schreiend.
Nicht selten hat man das Gefühl, dass nicht Kinski Junior, sondern vielmehr der olle Klaus auf der Bühne steht und dem Publikum seine Seele entblößt. Mit der Zeit wird der Inhalt der Gedichte (so wichtig er dem Autoren auch vielleicht gewesen sein mag) immer unbedeutender … Nikolai Kinski entwickelt eine Bühnenpräsenz, die einen die Luft anhalten lässt … was er sagt ist egal, nur wie er es sagt ist von Bedeutung. In der Folge schlüpft Nikolai mehr und mehr in die Haut seines Vaters, „die ihm wie Feuer brennt“ … umgeben vom „Fieberschaum“ … stellt die Kirche und kleinkarierte Denker an den Pranger … und sinniert über sein eigenes Ende – Selbstmordgedanken wie Nikolai in Interviews offen gesteht, die sein Vater wohl nur dadurch verdrängen konnte indem er sie sich von der Seele schrieb.
Das Publikum ist sichtlich beeindruckt, es traut sich phasenweise kaum zwischen den einzelnen Stücken zu applaudieren, weil dieser Applaus die Atmosphäre im Raum stört. Erst als Nikolai Kinski nach zwei abschließenden Zugaben, die nicht dem Werk seines Vaters entsprungen sind, die Bühne verlässt, löst sich die Anspannung allmählich und man ist fast froh der vorherigen Dunkelheit des Saales entfliehen zu können.
Bei der anschließenden Autogrammstunde präsentiert sich Nikolai als lockerer und sympathischer Typ. Und auch gegen einen netten Plausch und eine Fotosession hat er nichts einzuwenden. Lob für die eben dargebrachte Vorstellung erfreut ihn, besonders wenn man neben den Vergleichen mit seinem Vater auch eine gewisse Eigenständigkeit erwähnt, die ihm offenbar sehr wichtig ist. Beim Gespräch stellt sich auch heraus, dass ihm das Urteil der Presse unwichtig ist und er mit voller Absicht Berichte und Reviews, die sich mit seinem Schaffen auseinandersetzen, nicht beachtet. Persönliche Kritik und Auseinandersetzung mit dem Publikum dagegen hat einen ungleich höheren Stellenwert. Abschlussfazit eines durchweg gelungenen Abends : Dieser Typ hat auf wie auch hinter der Bühne Charisma und Austrahlung und braucht der Vergleich mit seinem einstmals übermächtigen Vater nicht zu scheuen … und er hat ihn auch gar nicht nötig.
Auszug aus der aktuelle Tagespresse (nach einem Auftritt in Hagen) : Zum Ende des Monologs betritt ein anderer, ein lächender Kinski erneut die Bühne. Damit gelingt ihm das Auftauchen aus der dunklen Seite des Vaters. „Mit diesen Texten bereiten sie mir eine schlaflose Nacht, Herr Kinski“, sagt eine Zuschauerin aufgewühlt. „Danke, das ist schön“, antwortet er und lächelt noch einmal.