Naja, wo soll ich anfangen... Am besten dort wo ich angefangen habe
Im Januar, nach einer mal wieder viel zu langen Winterpause, habe ich angefangen wieder laufen zu gehen, und habe mir ganz spontan das Ziel "Halbmarathon" für dieses Jahr gesetzt. Ich wusste dass der HM hier im Ort wie immer im August stattfinden würde, und dachte mir, naja, fast acht Monate hast du Zeit, das ist doch zu schaffen.
Ich bin zwar schon seit drei Jahren gelaufen, aber immer die selbe Strecke, immer die selbe Distanz von 7,7km, ohne mich groß zu steigern und ohne große Regelmäßigkeit, der reinste Schönwetterläufer. Im Sommer bin ich ein paar Monate gelaufen, dann habe ich über die kalte Jahreszeit aber immer viel zu lange pausiert.
Dieses Jahr sollte alles anders werden, so dachte ich mir, also hatte ich im Januar angefangen mit den ersten beiden Läufen. Ich habe mir trotz der Kälte, die mich immer vom Laufen abgehalten hat, selbst in den Arsch getreten und mich dazu gezwungen dabei zu bleiben. Von jetzt an läufst du konstant, es gibt keine Winterpause mehr für dich! Das habe ich mir vorgenommen, und der HM als ein mir selbst gesetztes Ziel war dafür die passende Anregung.
Und ich wollte natürlich als erstes, nachdem ich wieder die ersten paar Läufe auf meiner gewohnten Strecke hinter mir hatte, meine Streckenlänge langsam erhöhen. Ich hatte keinen festen Trainingsplan oder derartiges, ich hatte einfach nur ein Ziel im Kopf und wollte mich langsam dort hin bringen. So steigerte ich mich zuerst von 7,7 auf 11,6 und dann auf 15,4km. Naja, trotz allem kam ich viel weniger zum Laufen als ich es eigentlich vor hatte - man kennt das, mal tut das rechte Knie weh, mal das linke, mal die Sehnen, mal was anderes. Ich kenne niemanden, der wirklich regelmäßig läuft und nie Schmerzen hat. Ausserdem hatte ich nach den Läufen immer noch einen ganzen Tag lang Muskelkater oder mehr. So kam es dann über die Monate, dass ich trotz allem eigentlich nie mehr als fünf oder sechs Läufe im Monat geschafft habe, nicht gerade ein optimales HM-Training. Vielleicht hätte ich mich langsamer steigern sollen, aber da musste ich durch, mir lief ja die Zeit davon.
Letzten Endes habe ich es nur dreimal geschafft, längere Läufe hinter mich zu bringen, einmal 17, einmal 19, und nur einmal die komplette Distanz von 21km (die bin ich in 2:22:31 gelaufen, ein langsamer Trainingslauf, da waren es dann nur noch anderthalb Wochen bis zum Wettkampf). Ich wollte so viel mehr machen, aber naja, man weiß ja wie das so läuft...
Nun war es heute endlich so weit, der Tag der Wahrheit. Ich wollte schön lange ausschlafen, aber das konnte ich vergessen, war schon morgens so nervös dass ich nicht mehr liegen konnte. Dann hatte ich mir vorgenommen auf das Frühstück zu verzichten (ich gehöre sowieso zu der Sorte die morgens einfach keinen Appetit hat), wollte statt dessen dann mittags gleich noch einen Kebap essen (ja, das war tatsächlich für mich bisher immer das beste Kraftfutter gewesen), allerdings früh genug um den Lauf unbeschwert angehen zu können. Naja, wie so vieles ging auch das schief, ich müsste jetzt zu weit ausholen um alles zu erklären, jedenfalls kam ich erst nach drei, halb vier zum essen, da waren es dann auch nur noch zwei Stunden bis zum Lauf, nicht mehr wirklich viel Zeit für die Verdauungspause...
Aber egal, die Zeit lief weiter, und irgendwann stand ich dann tatsächlich an der Startlinie und wartete. Mir gingen so allerlei Gedanken durch den Kopf. Hast du genug getrunken, hoffentlich ist das Essen gut genug verdaut, hoffentlich schaffst du das. Habe dann dort noch einen Kumpel getroffen - mit dem hatte ich nicht gerechnet, er hatte vor einigen Wochen nur angekündigt dass er den Zehnerlauf mitlaufen wird, dass er nun doch den Halben mitläuft hatte mich etwas überrascht. Er nahm das Ganze auch richtig ernst, er hatte sich tatsächlich die einzelnen Zeiten für jeden Kilometer notiert, die er erreichen musste um sein Ziel "unter zwei Stunden" zu erreichen. Kurze Zeit dachte ich, hm, du wolltest zwar bloß unter 2:15:00 kommen, 2:10:00 hälst du wenn es gut läuft für realistisch erreichbar, aber du könntest ja versuchen mit ihm mitzuhalten und wenn du das durchhälst kommste doch noch näher an zwei Stunden ran... Den Gedanken habe ich allerdings schnell wieder verworfen. Dazu hätte es doch etwas mehr Training vorher sein müssen, und ich wollte es vermeiden mich am Anfang völlig zu übernehmen und dann später keine Kraft mehr für die letzten Kilometer zu haben.
Wie aus heiterem Himmel ertönte dann auch schon der Startschuss. Der war tierisch laut und kam wirklich so plötzlich und unerwartet, dass alle Läufer spürbar zusammengezuckt sind, mich eingeschlossen. Und plötzlich, nach dem überwundenen Schock, rannten alle los, 500 Füsse trampelten über den Asphalt. Ich stand natürlich geschickterweise direkt in der ersten Reihe. Habe hier meinen Kollegen dann sowieso gleich aus den Augen verloren, hätte mich also auch gar nicht wirklich an ihn hängen können. Massenweise überholten mich die schnellen Läufer, und natürlich ließ ich mich auch viel zu sehr mitreissen und lief trotz allem den Anfang der Strecke zu schnell. Nach dem ersten Kilometer sah ich auf meine Stoppuhr und dachte mir, oha, wenn du dieses Tempo hälst kommst du locker unter zwei Stunden, falls du nicht vorher umfällst. Habe mich dann nach einem weiteren Kilometer so gut es ging versucht zu bremsen, mein Tempo gedrosselt, aber gleichzeitig versucht nicht zu langsam zu werden. Naja, es ist schwer das richtige, eigene Tempo zu finden, wenn um dich rum alles wegrennt wie von der Tarantel gestochen und du ständig überholt wirst.
Das recht heiße Wetter hat mich auch noch zusätzlich fertig gemacht. Die ganzen letzten Wochen war es immer kühl und feucht gewesen, und gerade heute musste wieder die Sonne knallen wie verrückt. Die erste Runde hatte ich noch ohne Getränk durchgezogen, aber von dort an habe ich an jedem Getränkestand (derer gab es drei auf der Runde verteilt) einen oder zwei Becher getrunken, und mir noch einen Schwamm mitgenommen den ich mir überm Kopf auspressen konnte um mich abzukühlen. "Duschen" gab es auch an zwei Stellen, Wasserschläuche von der Feuerwehr bereitgestellt. Bin jedes Mal durchgelaufen und war sehr froh um die Abkühlung. Obwohl ich sonst im Training immer "trocken" laufe, ohne etwas zu trinken, habe ich hier immer wieder riesigen Durst gehabt und viele Becher geleert.
Aber irgendwann lief es dann einfach, ich hatte meinen Trott gefunden und bin ihm treu geblieben. Ich wurde mit der Zeit seltener überholt, mittlerweile hatten mich die meisten schnelleren wohl endlich hinter sich gelassen. Kurz bevor ich den Wendepunkt der großen Runde erreichte, kam mir mein zuvor erwähnter Kumpel entgegen, ich konnte also seinen Vorsprung ungefähr schätzen.
Die Stimmung war einfach fantastisch. Das ganze Dorf schien an den Strassen zu stehen, jeder klatschte und jubelte wie verrückt wenn man vorbeilief. Es war ein geniales Gefühl, jeder Applaus trieb mich weiter an und half mir dabei, nicht aufzugeben. So ab dem 13. Kilometer habe ich dann tatsächlich die ersten Leute auch mal selbst überholen können, das war gut für die Psyche. Und mit jeder Runde kam mir mein Kollege, der immer noch vor mir war, ein kleines Stückchen näher, was ich jedesmal am Wendepunkt sah weil er mir immer später entgegenkam. Sogar seinen Vater hatte ich unterwegs bemerkt, besser gesagt er hatte mich gesehen und erkannt. Er war Streckenposten - jedes Mal wenn ich bei ihm vorbeigelaufen bin, rief er mir zu "Carsten läuft ein Stückchen vor dir, den kriegste noch!" Ich dachte mir schon dass der seine 2:00:00 Wunschzeit nicht mehr erreichen würde, dazu war sein Vorsprung vor mir einfach zu klein. Und in der letzten Runde habe ich ihn dann tatsächlich vor dem Wendepunkt überholt, man sah ihm an dass er am Anfang viel zu schnell losgelaufen war. In der letzten Runde rief sein Vater dann "Jetzt haste es geschafft, er ist hinter dir" :-D Der war früher übrigens selbst erfolgreicher Läufer, der auch beim New York Marathon schon dabei gewesen war.
Aber egal, gerade in dieser Phase konnte ich diese Aufmunterung und den Selber-Überholen-Psycho-Bonus sehr gut gebrauchen, denn ich war selbst schon sehr am Kämpfen. Ab dem 17. bis 18. Kilometer haben mich nur noch die reine Sturheit und die Begeisterung der Zuschauer angetrieben. Wenn ich da stehen geblieben wäre, ich wäre umgefallen. Aber so bin ich der Ziellinie Schritt für Schritt immer näher gekommen...
Und irgendwann war es dann soweit. Ich bin durch das Ziel gelaufen, mein Strichcode wurde gescannt, und dann hab ich mich nur noch ins Gras fallen lassen und bin erstmal liegen geblieben. Zwei Minuten später kam dann auch mein Freund und gesellte sich zu mir. Erstmal noch ein paar Becher Wasser trinken und bloß keine Bewegung mehr zu viel. Irgendwann bin ich dann doch wieder aufgestanden (oh, diese Schmerzen!) und habe mich langsam zur Halle geschleppt, wo dann die Siegerehrung stattfinden sollte. Habe mir dort erstmal zwei alkoholfreie Weizen genehmigt (ja, dieser Tipp ist dann doch irgendwann mal hängen geblieben, hehe) und mich auf den erstbesten Stuhl gesetzt und nur noch abgewartet.
Tja, um mal zum Punkt zu kommen, meine endgültige Zielzeit lag nun bei
2:12:31. Damit landete ich auf Platz 171 in der Gesamtliste, von 200 gemeldeten Läufern (187 kamen ins Ziel). In meiner Klasse (Männer, von 20 bis 29) schaffte ich Platz 14 - damit Letzter, aber egal. Mein Ziel habe ich erreicht - ich habe die Ziellinie noch selbstständig laufend überschritten und auch meine vorgenommene Zeit erreicht. Klar, ich wäre lieber näher an zwei Stunden rangekommen, aber so habe ich auch noch genügend Luft zur zukünftigen Verbesserung
Insgesamt bin ich glücklich und zufrieden, nach all dem Ärger und Stress den ich in der letzten Zeit hatte und habe, war dies genau das was ich gebraucht habe - mir selbst ein Ziel setzen und dieses auch erreichen. Mir selbst etwas beweisen.
Und das hänge ich mir jetzt an die Wand:
Der 14. Platz klingt so schön