Gratulation, immerhin durchgehalten! Das haben 1968 bei der britischen Erstsendung nicht alle. Diese letzte Episode ist eine tour-de-force. Und sie ist es umso mehr, wenn man die Zeitumstände nicht vergisst, in denen sie entstand bzw. gesendet wurde: die Mitt- bis End-60er. Was da alles war, Kalter Krieg zwischen den Weltmächten, Ostermärsche gegen Atombewaffung der Bundeswehr (erst ca. 10 Jahre vorher wieder gegründet), Außerparlamentarische Opposition gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition, Altnazi Kiesinger als Bundeskanzler, ausweitender Krieg in Vietnam, Protestbewegungen dagegen in allen Teilen Westeuropas und den USA, gipfelte 1968; Studentenbewegung in Deutschland, aber auch Frankreich. 1969 schließlich Bundestagswahlen und Willi Brandt erster sozialdemokratischer Bundeskanzler, ach ja: Nummer 6 ab August 69 im ZDF.
Das ist der zeitgeschichliche Horizont, vor dem sich "Demaskierung" abspielt. Kulturgeschichtlich, also Musik, Film, Fernsehen, eine Zeit, in der viel an überkommenen Strukturen aufgebrochen wird. Patrick McGoohan hatte seit 1960 und nach Unterbrechung ab ca. 1965 wieder den cleveren Agenten John Drake gespielt. Als er damit fertig war, trat er von diesem Job zurück und machte Nummer 6. Die Story: Ein Agent legt seinen Job nieder und wird von unbekannten Mächten entführt. Wer waren die? Das bleibt im Ungefähren. Es spricht einiges dafür, dass die "eigene Seite" mehr darin verwickelt war, als einem lieb sein konnte. Vielleicht waren die beiden Seiten (des Kalten Krieges) doch gar nicht so verschieden, wie einem immer eingeredet wurde. 1967 kam der Beatles-Song "All You Need Is Love" heraus, der McGoohan gefiel. Die Beatles umgekehrt waren Fans von Nummer 6, doch ist nie ein Projekt daraus geworden. 1967 lief der James-Bond-Film "Liebesgrüße aus Moskau" in den Kinos, der Große Unbekannte dort war Blofeld, der mit der Katze im Arm. Zu dem Zeitpunkt aber noch anonym, nur bis zur Hüfte zu sehen.
McGoohan stand bei der Produktion der letzten Episode, die auch die allerletzte produzierte ist, vor einem Scherbenhaufen, wie er das, was er da angelegt hatte, zum Ende bringen könnte. Lew Grade, dem Produzenten, hatte er versprochen, alles würde am Ende aufgeklärt, auch wer Nummer Eins ist. Gesichert ist, dass er das - Anführungszeichen - Drehbuch - Anführungszeichen - an einem Wochenende allein verfasst hat. Die Rede des Versammlungspräsidenten (über Anarchie) schrieb Kenneth Griffith selbst. Sicher ist auch, dass McGoohan von Anfang an keinen Oberschurken à la James Bond wollte. Und einen geeigneten Kandidaten gab es ohnehin auch nicht. Der ärgste Feind des Menschen ist schließlich immer noch er selbst. Also ist Nummer Sechs Nummer Eins. Irgendwie. Dr. Jeckyll and Mr. Hyde, das Janusgesichtige (die S/W-Maskierten) des (technischen) Fortschritts usw. usw.
"Meine Vermutung das die ganze Serie nur darum geht, das jemand beweisen will das jeder Mensch ein Individuum ist konnte Sie jedenfalls nicht bestätigen." Genau. Das ist die bleibende Frage. Wie konstituiert sich ein Individuum? Viele, auch eingeschworene Prisoner-Fans, denken, hier wird der Individualismus gefeiert. Er wird sicher hochgehalten, denn kaum einer besteht so sehr darauf, dass seine Angelegenheit wirklich auch seine bleiben sollen wie Nummer Sechs. Aber gleichzeitig wird die Frage gestellt, ist denn Nummer Sechs nicht erst dadurch ein Individuum, dass er schon immer überprüft, überwacht, gescannt, beurteilt und bewertet wurde. Stichwort: individuelles Profil. Und es gehören andere Kräfte dazu, die da am Werk sind, mit denen sich jeder - auch heutzutage - auseinanderzusetzen hat; sagen wir F***book, Data mining etc.
Ich muss aufhören. Sonst wird der Stundensatz pro Vorlesung zu viel...
Ich schlage vor, Du schaust voraussichtlich im September bei unserem geplanten kleinen Treffen rein. Da zeigen wir den Kurzspielfilm "Resolution" (mit der Schauspielerin Jane Merrow aus der Episode "Der Doppelgänger"), und da wäre Gelegenheit sich zu unterhalten, auszutauschen. Ort und genaue Zeit steht noch nicht fest. - Wir sehen uns!