Story: REPLAY

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Offline nemesis

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    So, nemesis hat mal wieder in seinem Keller gewühlt und etwas gefunden. In den jahren 1988/89 (da war ich so 16-17) hatte ich eine recht ergiebige Phase des Schreibens und eine recht dicke Kladde vollgeschrieben mit Kurzgeschichten. Ob und wieweit die nun was taugen, das wage ich nicht zu beurteilen, aber ich habe mal eine von ihnen leicht überarbeitet, grobe Patzer ausgebügelt und nun hier reingestellt. Viel Spaß damit ;)


    REPLAY



    Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Zumindest fast. Percy war sich darüber klar geworden, dass alles so sinnlos war. Das Leben, die Liebe, die ganze Welt. Vor allem aber die Liebe, dieses verfluchte, undefinierbare Gefühl, das einem nichts als Scherereien bereitete. Liebe zerfraß. Liebe war grausam.
      Dieser fast ganz gewöhnliche Tag war düster und trist. Der Himmel war wolkenverhangen, kaum ein Sonnenstrahl drang hindurch. Bald würde es regnen, doch hoffentlich nicht zu bald. Bei diesem Wetter geriet man unversehens ins Grübeln, machte sich Gedanken über Dinge, die einem sonst kaum in den Sinn kamen. So war es zumindest bei Percy. Er war deprimiert und sinnierte über sein erbärmliches Dasein. Er hockte auf einem Fahrradständer vor einem größeren Wohnhaus, angelehnt an die verwitterte Ziegelsteinfassade. Er hoffte, sie würde bald kommen. Er musste es hinter sich bringen.
      Und so wartete er, sog die kühle Stadtluft ein und starrte ins Leere, ließ seine grauen Zellen auf Hochtouren laufen. Bilder aus der Vergangenheit zogen an seinem geistigen Auge vorbei, gepaart mit diversen Tagträumen, deren Erfüllung in unerreichbarer Ferne lag. Das Leben war mies, selbst für einen Teenager. Die meisten Leute dachten, das Leben eines Teenies wäre leicht und sorgenfrei. Diese Idioten! Im Leben eines Teenagers gab es genug Probleme, um ihn mit Leichtigkeit in den schieren Wahnsinn zu treiben. Percys Problem war sein Gefühlsleben, und das ging ihm an die Nieren. Verknallt war er schon oft gewesen, und die Körbe die er bekommen hatte hielten ihn davon ab, unverkrampft seine Gefühle auszudrücken. Das bereitete ihm gerade jetzt Sorgen, da es ihn offensichtlich wirklich ernsthaft erwischt hatte.
      Sie hieß Kelly, und für Percy war sie eine Göttin. Sie war bildhübsch, clever und wirkte auf den ersten Blick etwas schüchtern, was sie jedoch nicht war. Dadurch hatte sie eine ungewöhnliche Ausstrahlung, die Percy faszinierte. Doch die innere Barriere in ihm hielt ihn davon ab, ihr gegenüber etwas zu sagen. Es war zum Heulen. Doch damit sollte nun Schluss sein.
      Als Percy sich umsah, erblickte er sie. Sie kam die Straße entlang geschlendert, wie meistens fast ganz in Jeans, mit einem blauen Rollkragenpullover, denn es war ausgesprochen kühl heute. Als sie ihn sah hob sie eine Hand zum Gruß und kam auf ihn zu. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Als sie bei ihm war erhob Percy sich und setzte sein bestes was-ist-das-heute-wieder-für-ein-Scheißtag-Lächeln auf.
      „Hallo“, brachte er heraus, räusperte sich und sah kurz zu Boden.
      „Hi“, erwiderte sie. „Was machst du denn hier?“
      „Ich warte.“
      „Ah. Und auf wen?“
      Percy sah ihr direkt in die Augen.
      „Auf dich“, sagte er und Kelly machte große Augen.
      Sie gingen auf die selbe Schule, waren jedoch nicht in der selben Klasse. In den Pausen waren sie sich hin und wieder begegnet, weil einige Mädchen aus seiner Klasse mit ihr befreundet waren. Mehr als ein paar beiläufige Worte hatten sie jedoch noch nie gewechselt. Umso überraschter war sie nun. Diese Antwort hatte sie nicht erwartet, genauso wenig wie sie erwartet hätte, dass morgen Außerirdische auf der Erde landen und alle Banken in der Innenstadt ausrauben würden. Kurz gesagt, sie war perplex. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefasst hatte.
      „Wie…wieso?“ fragte sie schließlich.
      „Hast du etwas Zeit?“ wollte Percy wissen, und etwas Flehendes lag in seinem Blick.
      Erst war Kelly etwas unentschlossen, aber eben dieses Flehen in Percys Blick brachte sie dazu, ja zu sagen. Sie fragte sich, was er wohl von ihr wollte.
      Percy schob seine Hände in die Hosentaschen und sah sie an. Sie spürte, dass etwas an ihm anders war als sonst, etwas seltsames lag in seinem Blick, dass einen kurzen Gedanken in ihr aufkommen ließ, den sie sogleich aber wieder verwarf.
      „Ich wollte mit dir reden.“
      „Worüber?“
      Percy wandte seinen Blick ab und atmete tief durch.
      „Können wir ein Stück gehen?“ sagte er schließlich. „Es fällt mir schwer zu reden, wenn ich hier rumstehe.“
      Sie nickte, und zusammen schlenderten sie vorbei an Wohnhäusern, verwahrlosten Spielplätzen und recht stark befahrenen Straßen. Kelly hörte sich geduldig an, was Percy ihr zu sagen hatte.
      „Ich weiß nicht genau, wie ich anfangen soll. In meinem Leben…na ja, bisher war ich schon gelegentlich mal…sagen wir verschossen. Oh ja, das war ich. Ich fand ein Mädchen hübsch, interessierte mich für sie, sprach sie schließlich an und…bekam eine Abfuhr verpasst. Na ja, das ist Schicksal, so läuft es halt manchmal. Aber wenn einem das ständig passiert…baut man eine art Mauer um sich herum auf, lässt nichts mehr an sich heran. Man kann nicht mehr offen über seine Gefühle reden, und das zerfrisst einen, gerade jetzt, da es mich wirklich erwischt hat. Ich habe mich total in die Sache verfahren, und jetzt muss ich es einfach tun, sonst werde ich noch verrückt.“
      Er blickte sie verlegen an.
      „Hört sich bescheuert an, oder?“
      Nein, dachte Kelly, das tut es nicht. Aber sie sprach es nicht aus.
      „Nun“, fuhr Percy fort, „Liebe mag etwas wundervolles sein, aber wenn man sie nicht mit jemandem teilen kann, wenn sie unerwidert bleibt, dann zerstört sie einen. Ich hätte nie gedacht, dass einem so etwas derart viel bedeuten kann.“
      Percy nagte nervös auf seiner Unterlippe herum und sah Kelly fragend an.
      „Und was hat das mit mir zu tun?“
      Wenn sie es jetzt noch nicht bemerkt hat…, dachte er.
      Sie merkte es, unmittelbar nachdem sie ihre Frage ausgesprochen hatte. Ihr Unterkiefer sackte etwas herab, ihre Augen weiteten sich kaum merklich.
      „Oh“, war das einzige, was sie hervorbrachte. In ihrem Bauch schwirrten plötzlich Düsenjäger herum, ein Stepptänzer mit Gehstock und Strohhut sang tanzend I´m singing in the rain in ihrer Lunge und irgendwer in ihrem Kopf schien ständig Kühlschranktüren zuzuschlagen. „Oh.“
      „Ja, muss ein Schock für dich sein“, sagte Percy ironisch.
      Das musste Kelly erst einmal verdauen.
      „Nun ja“, fuhr er fort, „jedenfalls geschah etwas sonderbares nachdem ich mir meiner Gefühle gewiss war. Erinnerungen kamen zurück. Erinnerungen an früher.“
      „Als du noch klein warst?“ brachte Kelly heraus.
      „Nein. Davor.“
      „Davor?“ hakte sie irritiert nach.
      „Ja. Vor meiner Kindheit. Vor meiner Geburt. Aus meinem letzten Leben.“
      Spätestens jetzt sackte Kellys Kiefer bis aufs Brustbein herab.
      „Glaubst du an Reinkarnation, Kelly?“
      „An Wiedergeburt? Ich…ich weiß nicht so recht…“
      „Ich begann schließlich, mich auch an Leben vor dem vorherigen zu erinnern, an knapp ein Dutzend davon.“
      Kelly hielt inne, blieb schlagartig stehen. Irgendetwas Seltsames ging hier vor. In was war sie nur hineingeraten? Als sie sich umsah, merkte sie dass sie auf einer Brücke angelangt waren, die über eine Schnellstraße führte. Eine Flut von Autos schob sich unter ihnen hindurch.
      „Unsere Leben“, setzte Percy seine Ausführungen fort, „sind irgendwie miteinander verbunden. In jedem Leben, an das ich mich erinnern konnte, kommst auch du vor. Jedes mal begegnete ich dir, und jedes mal verliebte ich mich unsterblich in dich.“
      „Du willst damit sagen…dass ich auch schon mehrmals gelebt habe?“
      „Genau das. Du sahst damals fast genauso aus wie jetzt, du warst damals wunderschön, so wie du es auch jetzt bist.“
      Kelly fühlte sich trotz der Absurdität der Situation geschmeichelt und rang sich zu einem Lächeln durch.
      „Mein Leben“, sagte Percy, „nahm immer den gleichen Verlauf. Und es endete auch immer auf die gleiche Weise.“
      „Wie meinst du das?“
      „Jedes Mal starb ich…deinetwegen.“
      „Was?“ entfuhr es Kelly. Langsam wurde es ihr unheimlich.
      „Ja! Du hast mich jedes mal umgebracht!“
      Percy wirkte plötzlich ziemlich aufgebracht, fast wütend. Seine Stimmung hatte sich schlagartig gewandelt.
      „Immer am siebten Februar, immer an diesem Tag, immer dann habe ich wegen dir den Tod gefunden!“
      „Das ist doch krank!“
      „Denk was du willst, aber dieses mal wird das nicht passieren! Heute haben wir den siebten Februar, und heute werde ich nicht sterben, ich nicht!“
      „Nein“, rief Kelly aus und wich zurück.
      „Ich liebe dich, Kelly, aber ich bin nicht bereit, zu sterben. Nicht mehr.“
      Bedrohlich kam er auf sie zu, während sie weiter zurückwich, Schritt für Schritt, bis sie gegen das Brückengeländer stieß und erschrocken hinter sich sah.
      „So leid es mir auch tut, und so sehr es mich im Herzen schmerzt, ich muss diesen elenden Kreislauf beenden.“
      Percy machte einen Satz nach vorne um Kelly in die Tiefe zu stürzen.
      Vor Entsetzen geweitet sahen ihre Augen das scheinbar unvermeidliche. Sie war starr vor Angst, konnte sich nicht willentlich bewegen. Umso überraschter war sie, als sie eine schnelle Seitwärtsbewegung machte, ein unwillkürlicher Reflex. Nur eine kleine Bewegung. Aber sie rettete ihr das Leben.
      Percy, der nicht mehr in der Lage war, seinen Schwung abzubremsen, stieß gegen das Geländer, ruderte wild mit den Armen, hätte es vielleicht sogar fast noch geschafft, verlor aber schließlich doch das Gleichgewicht und stürzte hinab. Ein gellender Schrei begleitete seinen Sturz und endete abrupt mit seinem Aufprall auf der Schnellstraße. Den Sturz hätte er unter Umständen noch überlebt, doch der Lastwagen, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte beendete jede Hoffnung mit einem brutalen Schlag. Percy sah sie wuchtige Masse des Fahrzeuges über sich hinwegrollen, spürte jedoch kaum noch, wie dessen Räder seinen Körper zertrümmerten und grotesk deformiert hinter sich ließen.
      Nachfolgende Wagen schafften es gerade noch auszuweichen, fuhren jedoch ineinander und verursachten ein beachtliches Chaos auf der Schnellstraße. Blech, Stahl und Kunststoff gingen innige Umarmungen ein, der Geruch von Benzin und Öl breitete sich in der Luft aus und zwischen das Kreischen von sich schlagartig verformendem Metall mischte sich der nicht enden wollende Schrei von Kelly, die fassungslos auf der Brücke stand und auf die zerschmetterten Überreste von Percy hinabblickte.
      Der letzte Funken Leben der noch in ihm steckte trieb eine einzelne Träne aus seinen brechenden Augen, und der letzte bewusste Gedanke, sein letzter, verklang als Echo in der sich verfinsternden Ewigkeit.
        
      Nicht…schon…wieder…  
      Dann war es dunkel.





    Ende
    « Letzte Änderung: 22. Februar 2009, 20:50:10 von nemesis »


    Offline Bloodsurfer

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      Schöne Geschichte, ja wirklich! Vor allem den Schluss mag ich...


      Offline Flightcrank

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        Echt cool Nemesis!!! Könnte man doch mal als Kurzfilm verfilmen, oder!? :-D

        Gruß
        Flightcrank  8)


        Offline ap

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          Booooooooh, *staun* Nemesis, DU hast mal Kurzgeschichten geschrieben??????  8)  8)  8)  Coole Sache  ;)  Hab die Story noch nicht gelesen, aber bei deinem schrägem Humor kann sie nur cool werden!!  :D  :D  Ich geb dir heute Abend/Nacht mal ne Ausführlich Kritick!!

          Hab übrigens früher auch Kurzgeschichten geschrieben, und ich hab auch heute noch den Schreibtisch voller unfertiger Sachen. Ich hab jetzt 3 Wochen Urlaub, da hab ich mir fest vorgenommen, wieder mal was zuende zu schreiben!! Mein letzter Output ist auch schon wieder ne ganze Weile her...  :(


          Offline nemesis

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              • Show only replies by nemesis
            Hey, danke für die Blumen...ich werd noch ganz rot :oops: ...naja, wenn Interesse besteht tippe ich gerne nach und nach noch ein paar von den Teilen ab, denn was ist eine Geschichte ohne Leser?


            Offline ap

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                • Show only replies by ap
              sodala, gerade fertig gelesen, und was muß ich sagen? Hab was cooles erwartet und hab was cooles bekommen, was will man mehr???  ;)
              Die Geschichte als solches hat mir sehr gut gefallen, recht ruhig und atmosphärisch aufgebaut steigert sie sich langsam bis zur gelungenen Pointe am Schluß. Ich hab zuerst gedacht das währe eine Liebesgeschichte, ist es vielleicht irgendwie auch, aber der Gag am Schluß dreht doch wieder alles rum und läßt Platz für Spekulationen: Ist das eine Geschichte über den sich steigernden Wahnsinn von Percy?? Oder aber haben sich diese beiden Seelen tatsächlich schon mehrmals auf tragische Weise in mehreren Leben getroffen?? Ich denke das kann man interpretieren wie man wil, und sowas mag ich.  ;)

              Weniger gefallen hat mir die Namensgebun, "Percy" und "Kelly", wieso müssen das denn immer umbedingt englische Namen sein??

              Manche Ausdrücke, wie "...die kinetische Energhie seines Satzes...", klingen etwas sehr abgehoben, aber das läßt sich verschmerzen.

              hat mir gefallen.  8)


              Offline nemesis

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                  • Show only replies by nemesis
                Ich war jung und brauchte das Geld...hehehe :lol:

                Nee, aber Birgit und Hans...naja. Ich tendiere mehr zu englischen Namen.
                "Ingeborg hörte sich geduldig an, was Karl-Dieter ihr zu sagen hatte. "...näääää....


                Offline Bloodsurfer

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                  Zitat von: "nemesis"
                  Nee, aber Birgit und Hans...naja. Ich tendiere mehr zu englischen Namen.
                  "Ingeborg hörte sich geduldig an, was Karl-Dieter ihr zu sagen hatte. "...näääää....

                  Ich glaube bei "Ingeborg" hätte ich dann auch aufgehört zu lesen... :D