Ich bin, wie ich bin / Deadly Sweet / Col cuore in gola (1967)
Wenn man an Tinto Brass denkt, dann kommen einen erst Titten und Ärsche in den Sinn. Doch der Mann hat in den 50ern als Experimentalfilmer angefangen und das wirkt sich ebenfalls auf seinen einzigen Giallo aus. Denn hier nutzt Brass, vor dem Hintergrund der Swinging Sixties in London, so manche Spielerei, die den Film aus der Masse der üblichen Krimis herausstechen lassen.
Jean-Louis Trintignant ist Bernard, ein Schauspieler, der in London in Nachtclubs abhängt und dort auf Jane und ihre schräge Familie stößt. Jean und ihr Bruder Jerome haben grad ihren Vater verloren, der einen tödlichen Autounfall hatte. Martha, die Stiefmutter, hat sofort wieder einen neuen Lover an ihrer Seite, den sie überallhin mitschleppt. Bernard verguckt sich sofort in die 17-jährige Jane, die das Leben in vollen Zügen genießt. Als Bernard im Nachtclub keinen Kredit mehr bekommt, will er dem Besitzer Ruby Presscott noch was aus den Rippel leiern. Doch der liegt tot in seinem Büro. Jane steht verschreckt an der Wand und stammelt: „Ich war’s nicht.“ Bernard flüchtet mit Jane und gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Wahrheit und dem Killer…
Sicher sind hier jede Menge Elemente des Gangsterfilms vorhanden, denn nicht nur der Schauspieler ist scharf auch Jane, sondern auch andere Typen, die das Mädchen entführen und Lösegeld fordern. (Lustig ist, dass Bernard die Entführung sieht, aber nicht eingreifen kann, weiß er von einem Zwerg zusammengeschlagen wird… oops – darf man nicht mehr sagen – ein Kleinwüchsiger also.) Brass veredelt die Rätselsuche mit Splitscreen-Technik und vielen Comic-Verweisen. Tatsächlich gibt es, ähnlich wie beim 60er Batman, kurze Einblendungen von Puff und Päng, etwa bei Prügeleien. Die „Comic“-Kommentare lassen hier auch Tintos Humor aufblitzen, der sich hier nicht ganz ernst nimmt. (Bernard zitiert Alfred E. Neumann, bevor er von David „Darth Vader“ Prowse aufs Maul bekommt.) Albern wird es bei der Sequenz im Fotostudio – Jane strippt, was wir als Schatten auf einer weißen Wand sehen. Bernard sitzt hinter einem Schlagzeug und spielt immer schneller, je mehr Jane ablegt. Als sie ihm den Slip durch die Wand reicht, springt er in Lichtgeschwindigkeit auf, reißt sich die Klamotten vom Leib und schwingt nach einem Tarzan-Schrei an einem Seil durchs Studio, wo er die weiße Wand komplett zerlegt – das ist so surreal, dass ich es kaum glauben wollte. Typische Szenen, die nichts zur Story beitragen…
Auch der Wechsel von Farbe und Schwarz-Weiß hat den damaligen Kinozuschauer wohl verwirrt. Das wirkt zwar künstlerisch, war aber dem Budget geschuldet, denn die Crew hatte bei manchen Szenen kein Geld für eine vernünftige Ausleuchtung, so dass Brass diese Szenen dann in Black & White drehte.
Am Anfang zog sich das Ganze ein bisschen, aber im Laufe des Films steigert sich die Spannung, wenn Bernard und Jane dem Mörder immer näherkommen. Die beste Sequenz war ohne Zweifel die Befreiung von Jane aus den Händen ihrer Entführer – auch hier wird mit Splitscreen, Schwarz-Weiß, Einstellungen von Blicken und Soundeffekten gearbeitet. Auch ohne viel Geld schaffte Brass einen ordentlichen Krimi, der leider hier noch nicht auf Scheibe veröffentlicht wurde. Es gibt eine um zehn Minuten gekürzte VHS, die allerdings nur Dialoge vermissen lässt. Es wird eigentlich hier mal Zeit für eine vernünftige V.Ö. – denn der Streifen ist eigentlich filmhistorisch recht interessant und setzt auch London ganz gut in Szene.
Fazit: Interessanter Kunst-Giallo, der etwas aus dem Rahmen fällt.
Ich hab keinen richtigen Trailer gefunden, aber dieser Clip funktioniert ähnlich: