Phenomena (1985)
Ausnahmsweise springe ich mal in der Geschichte etwas nach vorne, in eine Zeit, in der der Giallo bereits ein Auslaufmodell war. Argento hatte nach Tenebre, dem Meta-Giallo, der die Essenz des Genres bildet, einen etwas anderen Giallo abgeliefert. Dieser wirkt zwar etwas wie ein Best-of seiner bisherigen Werke, gilt, seiner Meinung nach, als sein persönlichster Film. Nicht nur, weil er Biografisches in die Story einbrachte, sondern auch, weil vieles seiner Haltung (etwa das Verhältnis zu Tieren) mit einfloss.
Ich mag den Film immer noch sehr, weil er den Giallo mit übernatürlichen und märchenhaften Themen kreuzt.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Jennifer ist Tochter eines Schauspielers und wird in der Schweiz in einem Mädcheninternat abgeliefert, das von einer herrischen Direktorin geleitet wird. Zeitgleich treibt sich ein unheimlicher Mädchenmörder in der Bergwelt herum. Jennifer wird schnell zum Außenseiter, denn sie schlafwandelt und kann mit Insekten kommunizieren. Das führt zur Freundschaft mit dem Insektenkundler McGregor, der den Ermittlungen der Polizei unter die Arme greift, etwa um den Todeszeitpunkt von Leichen zu bestimmen.
Leider läuft Jennifer bei ihren schlafwandlerischen Ausflügen dem Killer, über den Weg und findet sich schnell auf seiner Abschussliste wieder, auch wenn sie sich an die Begegnung nicht wirklich erinnern kann. Doch bald findet sie einen madendurchsetzten Handschuh des Mörders und kommt gemeinsam mit McGregor dem Killer auf die Spur…
Nun – wo soll ich anfangen: das Setting ist geil. Die Schweiz wird sehr unheimlich in Szene gesetzt. Im Gegensatz zu den früheren Filmen nutzt Argento einen etwas naturalistischen Look, doch die Atmosphäre (Wind, Licht, Musik) ist absolut dicht und stets unheilschwanger.
Die Musik von Goblin, erweitert um Heavy Metal Songs (was viele als unpassend empfinden – ich freue mich, wenn Maidens Flash of the Blade erklingt…), unterstreichen die Stimmung für mich perfekt. Die Effekte sind aus heutiger Sicht (Fliegenschwärme) etwas altbacken (gerade bei der hervorragenden BD), sind aber interessant umgesetzt (Stichwort Kaffeepulver). Die Bluteffekte gehen absolut in Ordnung, sind jedoch nicht mehr so explizit, wie etwa bei Tenebre. Ich finde die märchenhaften Anklänge sehr gelungen, die für tolle Bilder sorgen. Die Szene, in der Jennifer dem Glühwürmchen zu dem Handschuh folgt (zusammen mit dem Phenomena-Theme) verpasst mir jedes Mal eine Gänsehaut und gehört zu meinen Lieblingssequenzen „ever“.
Der Cast ist ohnehin sehr nett – Jennifer Conelly (die wohl heute nicht mehr gerne über den Film spricht), Donald Pleasence als Wissenschaftler, Daria Nicolodi (natürlich) und Patrick Bachau (aus Pretender) als Inspektor Geiger sind bekannte und gern gesehene Gesichter. Natürlich ist Tanga der Schimpanse als „Inge“ der Höhepunkt des Films.
Ohne zu viel zu verraten – der Film ist ein sehr schönes Spätwerk von Argento – nicht logisch, aber dafür atmosphärisch dicht und sehr unterhaltsam. Es gibt mehrere Fassungen, von der nur die lange italienische empfehlenswert ist. Die US-Fassung mit 82 Minuten kann man getrost in die Tonne kloppen. Die ausländischen V.Ö.s sind uncut und auch noch gut erhältlich. Ein MUSS für Giallo Fans und Argentophile ohnehin.
Hier der etwas bizarre deutsche VHS-Trailer, mit eigener Synchronisation: