Michelle Zauner - Crying in H Mart

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Bloodsurfer

  • diagonally parked in a parallel universe...
  • Administrator
  • *****
    • Pfälzer mit saarländischem Migrationshintergrund


    Michelle Zauner - Crying in H Mart

    Mal etwas ungewöhnliches für mich - nichts fiktives, sondern eine ergreifende Memoir von der Musikerin (Gitarre und Gesang) hinter dem Projekt "Japanese Breakfast".

    Sie beschreibt hauptsächlich die Zeitspanne ihres Lebens, die das frühe Erwachsenenleben nach dem Ende der Jugend umfasst. Ganz konkret geht es um den Tod ihrer Mutter, die zu früh an Krebs verstorben ist, und ihre koreanische Herkunft.
    Der größte Teil des Buches widmet sich dabei also der Zeit von der Diagnose, nach der die bereits ausgezogene Tochter nach Hause zurückkehrt, um ihrer Mutter beizustehen, durch eine qualvolle und erfolglose Therapie bis zum Tod.

    Nun ja, wie zu erwarten ist das keine leichte Unterhaltungslektüre, sondern mitunter ziemlich niederschmetternd. Vor allem für mich, wenig überraschend, da ich mich sehr gut in die Lage der Hauptfigur versetzen kann, da sie ihre Gefühle und Erfahrungen meist recht gut greifbar vermittelt und ich selbst leider auch die Erfahrung machen musste, meine Mutter viel zu früh zu verlieren. Zauner schafft allerdings den Spagat zwischen dem emotionalen Downer und einer lebensbejahenden Familiengeschichte ziemlich gut. Nicht zuletzt, weil die familiären kulinarischen Gepflogenheiten auch eine wahnsinnig große Rolle spielen. Zauner beschreibt immer wieder bis ins kleinste Detail, welche koreanischen Gerichte ihre Mutter gerne zubereitet hat und verbindet das mit Anekdoten aus dem Familienleben, wichtigen und prägenden Momenten ihres Lebens. Das geht so weit, dass man ihr unterstellen könnte, die Zubereitung und den Genuss diverser Nahrungsmittel mit einer ähnlichen ausschweifenden Detailverliebtheit zu beschreiben, wie Tolkien seine Szenerien. So geht es auch nach dem Tod der Mutter dann weiter, indem sie sich das alles selbst aneignet und auch auf diese Weise ihrer Mutter gedenkt, ihr Erbe und ihre Tradition weiterführt.

    "For the rest of my life there would be a splinter in my being, stinging from the moment my mother died until it was buried with me."

    Am Anfang war ich noch etwas hin und her gerissen. Hier machte mir das Buch hauptsächlich immer wieder tierische Lust auf koreanisches Essen. Das ist nichts wirklich neues für mich, hatte ich schon bei Filmen oder Serien immer mal wieder, da gerade die Koreaner gerne ihre kulinarischen Künste zur Schau stellen.

    Während der Anfang mich emotional noch nicht ganz abholte und ich noch auf Distanz blieb, hat mich die zweite Hälfte dann deutlich mehr mitgenommen. Ich habe dann auch mal in die Alben von Japanese Breakfast reingehört, die mir vorher unbekannt waren. Das ist eher nicht meine Musikrichtung, experimenteller Indie-Pop, Shoegaze, hat mich emotional aber durch Kenntnis des Buches auch getroffen. Ich konnte im Grunde keinen Song hören, ohne an die Geschichte der Sängerin zu denken. Das fängt ja schon mit dem Cover des ersten Albums an, auf dem natürlich Zauners Mutter zu sehen ist. Es lässt mich mit sehr gemischten Gefühlen zurück, die ich noch nicht voll einordnen oder beschreiben kann. Insgesamt bin ich doch froh, es gelesen und diese emotionale und gleichzeitig auch kulinarische Erfahrung gemacht zu haben.

    Ein Tipp für euch? Sicher nicht für jeden, aber wenn es mal etwas anderes sein darf als die gewohnte Kost...
    « Letzte Änderung: 05. April 2022, 09:56:06 von Bloodsurfer »