M.L. Rio - If We Were Villains

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Online Bloodsurfer

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    M.L. Rio - If We Were Villains


    Wie zuletzt schon mit "The Secret History" habe ich mich für den Buchclub ein weiteres Mal in den Bereich "Dark Academia" gewagt. Jenes Buch hatte niemanden hier groß interessiert, vermutlich wäre das bei diesem hier auch nicht anders - ich kann dieses aber zumindest eher empfehlen.

    Vorab ist vielleicht eine Erklärung des Begriffs ganz nützlich:

    Trotz des düster klingenden Namens handelt es sich dabei in erster Linie um einen Mode- und Lifestyletrend, der an den formellen Kleidungsstil der 1930er- und 1940er-Jahre von Studenten altehrwürdiger Universitäten wie Oxford oder Yale angelehnt ist: Anzughosen, Hemden, Cardigans, karierte Röcke, elegante Lederschuhe und natürlich darf die großrahmige Brille nicht fehlen.

    Das vorgestellte „dark“ rührt wohl von den Gebäuden im gotischen Stil mit ihren verwinkelten und dunklen Räumen, dem spät abendlichen Studieren bei Kerzenschein und den schwermütigen Gedanken, die mit dem Lesen tiefgründiger Klassiker einhergehen. Gleichzeitig dient Dark Academia auch als eine inoffizielle Genre-Bezeichnung für Bücher (und Geschichten im Allgemeinen), die im Rahmen eines akademischen Umfelds spielen.

    Neben dem bereits erwähnten Secret History ist wohl Der Club der toten Dichter eins der prominentesten Beispiele für dieses Genre,  obwohl es damals noch nicht so genannt wurde.

    Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist die fiktive Kunsthochschule namens Dellecher Classical Conservatory. Es geht hier auch um bildende Kunst und Musik, der berühmteste Bereich der Schule widmet sich allerdings dem Schauspiel. Ganz spezifisch nur um das Schauspiel in Shakespeares Werken.

    Am Anfang steht ein Gespräch zwischen Hauptfigur (und gleichzeitig Erzähler) Oliver und einem Detective Colborne. Oliver wurde gerade aus der Haft entlassen für eine Tat, die er vielleicht, vielleicht aber auch nicht begangen hat. Das ist uns zu diesem Zeitpunkt noch unklar.
    Ebenso unklar ist der wahre Hergang der Ereignisse auch dem Detective. Dieser ist gerade in Rente gegangen, möchte aber noch erfahren, was wirklich geschehen ist. Es gelingt ihm, Oliver davon zu überzeugen, ihm die ganze Geschichte zu erzählen.

    Etwa ein Jahrzehnt früher war Oliver einer von sieben Schauspiel-Studierenden im vierten und letzten Jahr. Man merkt schnell, dass die Atmosphäre innerhalb dieser Truppe vergiftet ist. Und das gleich auf mehreren Ebenen.
    Einerseits wird die Gesamtheit der Schüler sehr stark unter Druck gesetzt. Von Jahrgang zu Jahrgang werden es weniger Schüler, nur die besten haben überhaupt eine Chance, der Konkurrenzdruck ist enorm. Das Lehrpersonal wendet äußerst fragwürdige Praktiken an; das fachliche Beherrschen der Kunst steht über allem, pädagogische Gesichtspunkte werden völlig vergessen.
    Gleichzeitig hat jeder Schüler nur seine eigenen Interessen im Kopf, möchte selbst am besten dastehen, da ein Abschluss dieser Schule den fast automatisch garantierten Weg zum Ruhm bedeutet. Richard ist unter den Schauspielern ein Favorit, er sackt fast immer die Hauptrolle in den aufgeführten Theaterstücken ein; er agiert aber auch wie ein absolutes Arschloch und wendet sowohl emotionale als auch physische Gewalt gegen seine Mitschüler ein.

    Es kommt wie es kommen muss - die Situation eskaliert, Persönlichkeiten und Verhaltensweisen der Rollen schwappen in die Realität rüber und Richard schwimmt eines Morgens tot im See.
    Doch wie kam es dazu? War es ein Unfall oder tatsächlich ein Mord? Und falls letzteres - wer war es?

    Ich muss gestehen, dass ich null Ahnung von Shakespeare habe. Bisher habe ich keines seiner Werke gelesen und habe es auch nicht vor. Für diejenigen, die sich mit dieser Materie besser auskennen, ist das Buch hier wahrscheinlich eine wahre Pracht. Aber auch ohne tiefgreifende Kenntnisse habe ich meinen Spaß damit gehabt. Die einzelnen Aufführungen der unterschiedlichen Theaterstücke sind hier super packend und dramatisch beschrieben, jede neue Aufführung setzt da nochmal etwas drauf, weil man in der Zwischenzeit die Figuren hinter den Rollen noch besser kennen gelernt hat. Das ist handwerklich schon super.

    Ich konnte auch viel besser mit den Figuren relaten als ich das im direkten Vergleich in Secret History konnte. Ganz einfach, weil mir die Schauspielerei mehr zusagt und mehr bedeutet als das Studium der griechischen Sprache oder irgendwelcher alter Philosophen.
    Und während mir die Figuren am Anfang der Geschichte noch etwas zu generisch geschrieben und einfach zu beliebig, zu austauschbar waren, so hat sich dieses Empfinden bis zum Ende dann doch geändert, nachdem ich alle etwas genauer "kennen gelernt" habe. Secret History fand ich zu trocken, ereignislos und langweilig - das alles trifft hier nicht zu.

    Ich gebe also eine vorsichtige Empfehlung ab an alle, denen das Miträtseln im Shakespear-Murder-Mystery Spaß machen könnte.


    Offline skfreak

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