R.F. Kuang - Babel

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Offline Bloodsurfer

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    R.F. Kuang - Babel, Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators’ Revolution


    Eines der meisterwarteten Fantasy-Werke des Jahres. Die deutsche Übersetzung soll wohl im April erscheinen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Habe es schon letzte Woche beendet, bin nur seitdem noch nicht zum Schreiben gekommen.

    Die Geschichte spielt in den 1830er Jahren in einer leicht alternativen Realität. Auch hier ist der Kolonialismus gerade voll im Gange, Großbritannien steuert mit Vollgas auf den ersten Opiumkrieg mit China zu. Der große Unterschied zu unserer damaligen Realität? Es gibt Magie. Silber-Magie. Auch bei uns war bzw. ist Silber ein wertvolles Material, doch in der Welt dieser Geschichte ist es ein Katalysator, der für die Wirksamkeit der Magie benötigt wird. Gleichzeitig benötigt diese Magie fähige Übersetzer mit sehr guten Sprachkenntnissen. Die Magie funktioniert nämlich darüber, dass Worte in unterschiedlichen Sprachen mit ähnlicher Bedeutung auf ein Stück Silber geprägt werden - die Wirkung entsteht durch die hauchfeinen Unterschiede in der Bedeutung der Worte.

    “Translation means doing violence upon the original, means warping and distorting it for foreign, unintended eyes. So then where does that leave us? How can we conclude, except by acknowledging that an act of translation is then necessarily always an act of betrayal?”

    Die Hauptfigur nennt sich selbst Robin Swift. Seinen echten Namen erfahren wir nicht. Das deutet schon an, dass ihm seine eigene Identität nicht vergönnt ist. Er ist ein chinesischer Junge, dessen Familie an Cholera stirbt - er wird “zufällig” von einem britischen Gelehrten gefunden und adoptiert. Natürlich erfährt man später, dass mehr dahinter steckt. Dieser besagte Gelehrte ist Sprachprofessor in Oxford. Dort befindet sich der Turm Babel, betrieben von den besten Übersetzern der Elite-Uni, die dort an der Silber-Magie arbeiten, neue Wirkungen erfinden und damit das gesamte britische Imperium am Laufen halten.

    Robin wird unter die Fittiche des Professors genommen, genießt eine hohe Bildung und wird zum Studium nach Oxford geschickt. Er hat viel sprachliches Talent und bringt begehrte Kenntnisse in Kantonesisch und Mandarin mit,  weswegen ihm eine vielversprechende Karriere im Babel-Turm bevorsteht. Schon kurz nach Beginn seines Studiums wird er jedoch in mysteriöse Dinge verwickelt, stößt auf eine Geheimgesellschaft: Die Hermes Society, welche das Imperium aktiv aus dem Untergrund bekämpft, um die britische Kolonialisierung und weltweite Unterdrückung zu stoppen.

    Robin lässt sich in die Machenschaften von Hermes verstricken und beginnt dabei zu helfen, z.B. wertvolle Materialien aus dem Turm zu stehlen. Natürlich wird die Situation eskalieren, wie auch der bevorstehende Krieg mit China.

    Ich fange mal mit den Kritikpunkten an, die sind schneller aufgezählt als die Stärken des Buches.

    Im Grunde ist es auch nur einer: Dass es sich ein wenig zu sehr in die Länge gezogen hat. Es ist ein dicker Brummer und im Grunde passiert erst in der zweiten Hälfte richtig viel, gerade zum Ende hin wird’s dann immer schneller und turbulenter. Das hätte etwas besser ausbalanciert sein können - der Anfang etwas mehr beschleunigt, der Rest dann sogar etwas entschleunigt.

    Das war’s dann aber auch schon mit der Kritik, der Rest war super. Ich finde vor allem, man merkt es hier jeder einzelnen Seite im Buch extrem deutlich an, wie viel Recherchearbeit und vor allem auch ganz spezifisches Fachwissen über Sprachen und Übersetzungen hier eingeflossen ist. Das ist fantastisch.

    Super kreativ auch, wie aus diesem sprachlichen Fachwissen und Übersetzungs-Feinheiten die Magie gestrickt wird. Das war mal wirklich eine frische, neue und kreative Idee, die mich wirklich begeistert hat. In unserer Welt setzte ab etwa 1830, nachdem die notwendigen Gesetzmäßigkeiten bekannt waren, eine breite Anwendung der Elektrizität ein. Hier im Babel-Universum wird das auch erwähnt, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle am Rande, weil die Sibermagie schon frühzeitig viel mehr Dinge ermöglicht hat als die Elektrizität es in diesem frühen Stadium (oder überhaupt) könnte. Das wirft viele interessante Fragen und Gedankenspiele auf.

    Die Breite dessen, was hier durch die Silbermagie ermöglicht wird, ist sehr weit gefächert. Es treibt Züge oder Schiffe schnell an, kann schwere Krankheiten heilen oder töten. Es sorgt jedoch auch für Wecker, die klingen wie echte Hähne oder für dimmbare Lichter mit Sprachsteuerung oder Vorhänge, die im Lauf des Tages die Farbe wechseln.

    Eine ganz große Rolle spielt hier natürlich auch Rassismus. Die Autorin verarbeitet hier vielleicht eigene Erfahrungen als chinesische Migrantin in Oxford während ihres Studiums. Es liest sich teilweise sehr unangenehm, was Robins Kohorte hier erleben muss, die sich aus drei Nicht-Weißen und einer Weißen zusammensetzt. Dabei ist nichts davon übertrieben, vor allem nicht in dieser Welt und Zeit mitten in der Hochphase des Kolonialismus. Sehr packend und fesselnd war z.B. eine Szene formuliert, in der die drei Nicht-Weißen der Weißen ihre Erfahrungen sehr intensiv schildern. Für diese weiße Figur bricht ihre komplette Welt zusammen - sie ist es dann, die die Erzählungen der anderen nicht aushält und von ihnen schließlich sogar getröstet werden muss.

    Wenn man sich online mal diverse Reviews anschaut, sieht man schnell, dass viele fragile weiße Egos das Buch genau deswegen mit dem dummen Vorwurf “Rassismus gegen Weiße” kritisieren, weil sie es hassen, den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Daran sieht man, dass das Buch genau das erreicht, was es sollte.

    Insgesamt also ein sehr starkes Buch, dem ich nur zu viele Längen in der ersten Hälfte vorwerfen kann. Bin froh, es gelesen zu haben und werde definitiv auch noch weitere Werke dieser Autorin lesen.


    Offline JasonXtreme

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      Das klingt nicht uninteressant!
      Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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      Offline Havoc

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        Hört sich sehr gut an.

        Das mit dem langsamen Aufbau kenne ich auch von den "drei Sonnen".
        Scheint also bei chin. Autoren nicht so ungewöhnlich zu sein. :D
        “When I ride my bike I feel free and happy and strong.  I’m liberated from the usual nonsense of day to day life.  Solid, dependable, silent, my bike is my horse, my fighter jet, my island, my friend.  Together we will conquer that hill and thereafter the world”