Jack Ketchum: Evil (Review auf Seite 2!)

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Online Thomas Covenant

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    Also ich hab EVIL jetzt gelesen und bin begeistert. Womit ich nicht gerechnet habe :!: .

    EVIL ist ja ein lupenreiner Coming of Age Roman - einer der der zwar in sehr sehr dunkle Tiefen driftet - aber ein CoA Roman zu Hundert Prozent.
    Die Erzählstimme Ketchums schaftt es innerhalb Sekunden einen in den Bann zu ziehen. Kleine Details wie das Fernsehprogramm(Cheyenne und Vater ist der Beste usw) sowie Dinge die es in meiner Jugend gab( Musketeer Schokoriegel-kennt die noch einer hier?) haben mich aus dem Stand in meine Kindheit gebeamt. Auch das Verhalten der Kinder am Anfang ist unglaublich real-das Herumstreunen, abhängen, Ballspielen und besonders dieses noch relativ harmlose Cowboy/Indianer Spiel haben wir als Kinder auch gespielt. Wir sind alle mal am Marterpfahl gelandet und waren Opfer gewisser Schikanen wie mit Schlamm beschmieren, Juckpulver oder gar Brennesseln. Eine Denise gab es nicht aber Mädchen die zeig du mir deins, zeig ich dir meins gabs schon :P .
    Das Abfackeln von Insekten mit der Brennlupe war auch so ein sportliches Vergnügen. Ketchum weiss wovon er schreibt.

    Wie sich das Ganze danach entwickelt ist ein lupenreiner Terror, der diese Kids, die ja wohlgemerkt in einer Zeit leben in der Bonanza das Härteste war was im Fernseh lief, fasziniert. Alles was sie Tun ist von einer Neugierde angetrieben und wird durch Ruth von einer amoralischen auf eine legitimierte moralische Ebene gehoben. Da Ruth die Taten sozusagen legalisiert, für Kinder die Erwachsenen die absolute Autorität sind, bringt sie das Wertesystem der Kinder in kurzer Zeit zum Einstürzen und baut ihnen ein neues in dem Mitleid keinen Platz hat.
    Die Mechanismen die Ketchum hier schildert sind absolut nachvollziehbar.

    Ketchum schreibt brilliant, zumindest in diesem Buch. Kein Wort zuviel, sparsam und treffsicher. Dadurch wird das Buch sehr geradlinig und dynamisch. Die Gestaltung der Kapitel ist eine Meisterschaft für sich.
    Die Handlung ist mehr als unschön und trotzdem gelingt es Ketchum, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Das Buch generiert mannigfaltige Gefühle, Freude, Melancholie, Spannunug, Ekel und Mitleid wie nicht viele Bücher das können. Ich finde das Buch nicht krank, eher hart und zwar sehr hart. Ketchum beschreibt gar nicht so detaliert die Grausamkeiten, es sind eher die Verletzungen und Bilder die im Kopf entstehen durch heisses Wasser, Schläge und Niedertracht hervorgerufen.
    Als Ketchum beschreibt wie sie das Eisen im Feuer glühend machen, wurde mir ganz elend und dachte dass wird er doch jetzt nicht auf zwei Seiten platt treten dieses unglaubliche Verbrechen an einem hilflosen Menschen und dann kommt folgende Passage...

    Darüber werde ich euch nichts erzählen. Ich weigere mich.
    Es gibt Dinge, die erzählt man nicht. Da stirbt man lieber.
    Dinge, von denen man weiss, dass man besser gestorben wäre, statt sie zu erleben.
    Diese Dinge habe ich erlebt.

    Und ich war erleichtert, sogar sehr erleichtert und fasziniert wegen der Meisterschaft die Ketchum hier erreicht. Denn die Tat findet dann in ungleich grösserer Dimension im Kopf des Lesers statt. Durch das Weglassen und diesen sehr cleveren Passus hat er den Horror ultimativ gemacht.
    Evil ist sicher kein leichter Stoff. Ein Buch dass polarisiert aber auch sehr ehrlich ist. Er liefert auf allen Ebenen. Wo viele Horrorauthoren politisch korrekt sein wollen, knallt er dir einen ins Gesicht mit der Kraft eines LKW Trucks. Einn echter Horroroman ohne Monster, Viren, Höhlenmenschen, Zombies oder anderes nur Menschen, Kinder und Erwachsene.
    Man fühlt sich nach dem Lesen als wäre man durchs Fegefeuer gegangen bei der Palette von Gefühlen die dieses Buch hervorruft. Ich habe es nicht erwartet und bin deshalb um so mehr begeistert, weil - so sollte ein Horrorroman aussehen. Ihr wollt Horror? Ich geb ihn euch, aber beschwert euch nicht wenn es euch hinterher nicht gut geht :) .
    Das könnte Ketchums Motto sein und dass kommt mir doch sehr entgegen in dieser weichgespülten deutschen Buchlandschaft. Mehr davon! Bin auf weitere Ergüsse von Ketchum gespannt.

    Ein klarer Fall für TCs Buchregal.
    Ich werde dieses Buch nicht mehr hergeben ;)
    Danke Marco für die Buchspende :!:

    Nachtrag
    Das Buch beruht auf dem wahren Verbrechen von Gertrude Baniszewski an Sylvia Likens 1965. Wikipedia ist eine gute Quell.
    Es gibt noch ein weiteres Buch zu diesem Verbrechen
    THE INDIANA TORTURE SLAYING von John Dean

    Der Film zu dieser Tat AN AMERICAN CRIME wurde dieses Jahr beim Sundance Film Festival uraufgeführt. In den Hauptrollen Katherine Keener und Ellen Page.
    http://en.wikipedia.org/wiki/An_American_Crime

    http://members.tripod.com/~Borf_Books/borftort.htm



    Online Thomas Covenant

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      Stubs, mit deinen Gefühlen bist du nicht allein. Mich hat das Buch auch weggebretzelt-auch und gerade auch weil ich einen Sohn(15) habe. Evil ist purer Horror, und gerade weil das Buch in der Realität wurzelt um so schockierender. Kein Dämon, Vampir oder sonstwas könnte bei mir solches Grausen auslösen.
      ....und trotzdem ist es ein meisterhafter Roman, denn es sind die Stimmungen und Zwiespältigkeiten von denen das Buch lebt, denn das Brutale wird so explizi gar nicht geschildert-die Bilder entstehen ja eher im Kopf und haben da die Wirkung einer Darmblutung.
      Ganz grosser Roman, der seinen Leser so schnell nicht loslässt.