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Review: THE BOTTOMS (Joe R. Lansdale)

(1/7) > >>

Lionel:


http://www.amazon.de/Bottoms-Joe-R-Lansdale/dp/0753814366/ref=sr_1_6/028-9516265-0538954?ie=UTF8&s=books-intl-de&qid=1185283792&sr=1-6


Kurzbeschreibung
Der Held: Harry Crane ist elf Jahre alt, als eine grauenhafte Entdeckung sein Leben verändert. Der Schauplatz: Osttexas in den 1930er Jahren, zu Zeiten des Ku-Klux-Klan Das Motto: »Halt dich von allem weg, was der Teufel mag, sonst wickelt er dich ein und macht seine Spielchen mit dir. Verstanden?«Anfang der Dreißiger Jahre gab es im Sabine River in Texas noch Alligatoren. Ein Junge wie Harry Crane konnte in den dichten Auwäldern Eichhörnchen schießen. Doch am Ufer macht der Elfjährige eine schreckliche Entdeckung – die mit Stacheldraht an einen Baum gefesselte Leiche einer Schwarzen. Zusammen mit seiner kleinen Schwester verdächtigt er den Ziegenmann, eine Sagengestalt des Flusses. Harrys Vater ist der Friseur und Constable des Dorfes, ihn überfordert der Fall. Als ein Unschuldiger gelyncht wird, macht Harry sich selbst auf die Suche nach dem Urheber einer grausamen Mordserie. Dem kindlichen Blick des Helden, der an Mark Twains unsterbliche Freunde Tom Sawyer und Huckleberry Finn erinnert, enthüllt sich die Düsternis eines Faulknerschen Südens voll Gewalt und Rassismus.»Für so etwas braucht es eine seltene Begabung – Lansdale hat körbeweise davon. (amazon.de)


"The Bottoms" oder "Die Wälder ein Fluss" ist ein ganz besonderer Roman von Kultautor Joe R. Lansdale, der in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts im Osten des Staates Texas spielt und aufzeigt, dass sich viele Jahre nach Abschaffung der Sklaverei und Beendigung des Bürgerkrieges nicht viel zwischen Schwarz und Weiß verändert hat, nach wie vor ein mehr oder weniger latent vorhandener Rassismus vorherrscht und auch das Lynchen noch kein Ende gefunden hat. Darüber hinaus ist "The Bottoms" ein Serienkiller-Roman vom Feinsten, vergleichbar etwa mit "Jack the Ripper". Überhaupt würde ich den Plot und das Setting in etwa mit "Mississippi Burning" meets "Jack the Ripper" meets Coming of Age umschreiben...mit einer Prise "Psycho", aber ich möchte nicht zu viel verraten:-)

Die Geschichte wird aus Sicht des 11 jährigen Harry Crane erzählt. Sein Vater hat einen Friseursalon und ist noch dazu Constable in ihrem Bezirk. Mit diesen beiden Jobs kommt die Familie, neben Harry und seinem Vater noch seine Mutter, Schwester Tom und die bald hinzustoßende Großmutter, eher schlecht als Recht über die Runden. Als Harry eines Tages im Wald die grauenvoll verstümmelte Leiche einer Farbigen entdeckt, beginnen die von Harry's Dad geführten Ermittlungen. Schon bald folgen weitere Morde, die Geschlechtsteile der Frauen grausig zerschnitten und verstümmelt, die Körper vergewaltigt und geschändet, mit Stacheldraht an Bäume gebunden oder am Ufer des Flusses angeschwemmt. Zu Beginn sieht es so aus, als würden nur farbige Prostituierte Opfer des Killers werden, was den Großteil der (weißen) Bevölkerung auch wenig interessiert. Mehr als einmal wird Constable Jacob Crane nahegelegt, die Ermittlungsarbeit einzustellen. Doch als weitere Leichen auftauchen wird klar, dass der Killer kein so leicht durchschaubares Täterprofil bietet. Im Verlaufe seiner Nachforschungen ist Jacob der farbige Arzt Doc Tinn behiflich, der sich über seine eigentliche Arbeit hinaus mit Psychologie und kriminellen Rastern beschäftigt. Schon bald schalten sich der junge Harry und seine Großmutter mit ein und ermitteln auf eigene Faust. Doch wer ist der gnadenlose Schlächter? Jacobs ehemals bester Freund Red, der einen Groll gegen Jacob hegt, seit dieser ihm die Frau ausgespannt hat? Der rassistische Redneck Mr. Nation oder einer seiner Söhne? Der alte Farbige Mose, den Jacob seit seiner Kindheit kennt, aber bei dem auf einmal die Geldbörse eines der Opfer aufgefunden wird? Der "Goat Man" (=Ziegenmann), der in den Wäldern sein Unwesen treiben soll, ein legendäres lokales Fabelwesen mit Hörnern wie der Teufel? Oder vielleicht jemand, von dem es niemand auch nur im Entferntesten vermutet...

Soviel zum Inhalt. Das mag jetzt detailliert klingen, ist es aber nicht. Es kommen so viele Details, Mutmaßungen und Enthüllungen vor, beinahe wähnt man sich in einem Miss Marple-Roman. Was man Lansdale hoch anrechnen muss, ist, dass er die Zeit autentisch und glaubwürdig nachgezeichnet hat. Ein Leben in den USA der 30er Jahre: Rassismus, der Ku Klux Klan, das Wohnen und Arbeiten in den Wäldern, die Dummheit und Ignoranz der Menschen damals, das Lynchen, die mangelnde professionelle Ermittlungsarbeit seitens der Polizeit und und und...
Niemanden hat es zur damaligen Zeit interessiert, wenn eine Farbige vergewaltigt oder ermordet wurde, keiner ging dem nach. So stößt der äußerst fähige und intelligente Doc Tinn beispielsweise auch ausschließlich auf Ablehnung seitens seiner weißen Kollegen, hier verkörpert von Doc Stephenson, obwohl Tinn deutlich mehr auf dem Kasten hat als die meisten. Angst vor Gleichstellung und damit eigener Erniedrigung oder Herabstufung lösen solche Reaktionen aus.

Auch die Charaktere sind glaubwürdig und vielschichtig gezeichnet, sodass nie Langeweile aufkommt. Constable Crane ist alles andere als ein Supermann, sondern ein ganz normaler Mann mit vielen Schwächen, der auch Fehler begeht. Ein liberaler, den Farbigen gegenüber offener Mensch, der deswegen vielerorts auf Anfeindungen stößt. Auch Mose als "Onkel Tom" - Verschnitt ist eine interessante Figur, ebenso wie die Palette an Unsympathen, sei es Doc Stephenson oder Mr. Nation. Zudem gibt es die zwischen zwei Seiten pendelnden, unschlüssigen Charaktere, so Jacobs ehemals bester Freund Red oder Mr. Croon, der einst den Ku Klux Klan angeführt, ihn dann aber - geläutert - verlassen hat. Auch der "Ich-Erzähler" Stil funktioniert sehr gut. Harry ist dann immer entweder direkt dabei oder erfährt die Zusammenhänge später und teilt sie dem Leser mit.

Eine gesunde Prise Härte ist ebenfalls vorhanden. Die Frauenleichen sind bis ins Unkenntliche verstümmelt, die Geschlechtsteile zerstört, Gliedmaße verstreut. Man erinnert sich an eine Autopsie im ersten Drittel des Buches, wo der Magen schon kurzzeitig etwas flau wird. Und auch beim Fund der späteren Leichen wird mit Details nicht gespart, es nimmt allerdings nie Überhand. Am Ende, als die kleine Tom in die Hände des Täters gerät, wird es auch auf sexueller Ebene etwas unangenehm. Oder das Lynchen eines farbigen Protagonisten, Stichwort Kastration. Lansdale hat hier alles andere als ein kinderkompatibles Buch geschrieben, sodass der Anhänger etwas derberer Thrillerkost durchaus auch auf seine Kosten kommt in dieser ansonsten eher angenehm ruhigen und unaufgeregten Geschichte.

Super gefallen hat mir auch das Ende. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass die Geschichte rückblickend vom Ich-Erzähler Harry erzählt wird, der in der Gegenwart selbst dem Ende seines Lebens entgegen blickt und Kindheitserinnerungen Revue passieren lässt. Der Showdown ist wirklich ganz große Klasse und völlig anders als erwartet, nichtsdestotrotz nicht weniger nervenaufreibend und spanned! Obwohl der Täter gefunden wird, bleiben viele Dinge unklar, was äußerst realistisch daher kommt. Schicksale von einzelnen Protagonisten bleiben unaufgeklärt, lediglich Theorien und Mutmaßungen werden angeboten. Dabei hab ich mich sehr an das Ende des hervorragenden koreanischen Thrillers "Memories of Murder" erinnert gefühlt. Das Leben ist nun mal so, es ist im Nachhinein nicht immer alles bis ins letzte Detail erklärbar, "toterklären" wird hier tunlichst vermieden.
Auch der Rest des Epilogs wertet den Roman nochmal auf und hebt das sehr positive Gefühl was man bis dahin hatte nochmal hervor. Harry erzählt wie es Familie und Freunden ergangen ist und auch dabei gibt es nicht nur Schönes, sondern auch Tragisches (wiederum: Realismus pur!) zu berichten. Genauso wurde es auch in der letzten "Wunderbare Jahre" - Folge gehandhabt, oder auch am Ende von "Unschuld und Unheil". Mir gefällt so ein Ausklingen einfach.
Im Nachhinein bin ich froh, dass ich "The Bottoms" gelesen hab, auch wenn ich ein paar Anlaufschwierigkeiten hatte (die Geschichte fängt doch recht langsam an, Charaktere werden langsam und behutsam eingeführt, die Umgebung erklärt, die Zeit, Details wie Harry's Hund etc.). Auch würde ich empfehlen das Buch auf Englisch zu lesen, weil kaum ein Satz ohne den typischen amerikanischen Texas-Slang vorkommt, der im Deutschen einfach nicht so transferiert werden kann, ohne dass etwas verloren geht. Schwer geschrieben isses jedenfalls nicht, da reichen auch durchschnittliche Englischkenntnisse. Bestimmt nicht das letzte Lansdale Buch, was ich gelesen hab, dicke Empfehlung!

Flightcrank:
Das klingt ja mal richtig geil :!:

Ist das das Buch was Marco so liebt? Ich hab' da irgendwas im Hinterkopf...

Lionel:

--- Zitat von: "Flightcrank" ---Das klingt ja mal richtig geil :!:

Ist das das Buch was Marco so liebt? Ich hab' da irgendwas im Hinterkopf...
--- Ende Zitat ---



Jepp, das is eins von Marco's liebsten..

JasonXtreme:
Das ist es - und ich bin froh, dass nach dem Gunther nin endlich noch jemand  in den Genuss des Buches kam ;) ich wusste es gefällt Dir mein Bester :D

Lansdale hat noch nichts geschrieben was man nicht empfehlen oder zumindest lesen kann. Fangt endlich mal an diesen Herrn zu würdigen. Hier sei wiedermal sein NIGHTRUNNERS zu empfehlen - was dann wieder in die Horrorecke geht - oder auch DRIVE INN (was vielen hier sicher besser gefällt als mir) - oder eben die Reihe welche mit WILDER WINTER anfängt.

Zumal die Büchers alle eh recht flott zu lesen sind mit maximal 350 Seiten.

Flightcrank:
Ok, sehr cool! Behalte ich auf meinem Radar...  :D

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