Still Walking (Aruitemo aruitemo)

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Offline nemesis

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    Still Walking
    (Aruitemo aruitemo)
    (dt. Übersetzung etwa: "Weitergehen" (den Weg unbeirrt immer weiter vortsetzen)

    Japan 2008
    http://www.ofdb.de/film/158528,Still-Walking

    Die jährliche Familienzusammenkunft steht bevor. Jedes Jahr findet sich die Familie Yokoyama am Todestag des ältesten Sohnes Junpei zusammen. Für Ryo, den jüngeren Bruder, eher lästig und unangenehm. Dort wird er immer an die Tatsache erinnert, dass Junpei der favorisierte Sohn war, der mit den vielversprechendsten Anlagen. Der, der in die Fußstapfen seines Vaters Kyohei, einem Arzt im Ruhestand, hätte treten können. Ryo hat es seinem Vater nie recht machen können. Zudem ist er mit einer Witwe mit Kind verheiratet. Und gerade Ältere betrachten solche Ehen eher als zweitklassig. So auch sein Vater. Ryos Schwester Chinami ist mit einem Autoverkäufer verheiratet. Auch das entspricht nicht den hohen Anforderungen ihres Vaters. So brodelt unter der Oberfläche eine ständige Unzufriedenheit und Enttäuschung. Zudem sich Kyohei nicht mit seinem Ruhestand abfinden kann.



    Junpei starb vor fünfzehn Jahren, als er einem Ertrinkenden das Leben rettete. Dieser, nun erwachsen, fettleibig und erfolglos, wird ebenfalls jedes Jahr eingeladen. Augenscheinlich aus Höflichkeit, aber insgeheim als Bestrafung, weil ein "Taugenichts" wie er lebt, während der vielversprechende Junpei tot ist. Und so darf sich nicht nur er, sondern auch Ryo immer wieder anhören, wie fabelhaft Junpei doch gewesen ist. Sein Vater beginnt schließlich sogar, Ryos Sohn als potenziellen "Nachfolger" ins Auge zu fassen. Worüber Ryo nicht wirklich glücklich ist. Das Ansehen, gewisse Standards, sind für Kyohei sehr wichtig. Auch wenn dies insgeheim nur Fassade ist. So regt er sich zwar darüber auf, dass seine Frau Toshiko für die Familie so etwas banales wie Mais-Tempura anrichtet, liebt dieses Gericht jedoch. Auch gibt er vor, klassische Musik zu lieben... hört aber insgeheim populäre Musik. Das Unausgesprochene hinter der streng gewahrten Fassade dringt nur schwerlich durch, steht wie eine Mauer zwischen den Familienangehörigen.



    Wo westliche Filme in Eskalation münden würden, wenn das Innerste der Protagonisten hervorbricht, geschieht dies in Still Walking subtil, fast schon sanft. Der Film baut kein dramatisches Gerüst bis hin zu einer finalen Entladung, sondern lässt uns Gäste im Hause der Yokoyamas sein. Wir teilen diesen einen Tag mit ihnen, sind Zeugen der stillen Momente der menschen und zwischen ihnen. Fast schon etwas dokumentarisch (wo auch die Wurzeln von Hirokazu Kore-Eda liegen). Waren frühere Filme von ihm auf Erzählungen und Interviews aufgebaut, die er mit anderen Menschen geführt hatte, so fußt Still Walking auf seinem eigenen Leben und seinen Erinnerungen. Viele details aus seinem leben flossen ein, und all das wirkt ungemein authentisch und lebensnah. Wir sehen hier keine Figuren in einem Film, wir sehen wirkliches Leben. Ohne aufgesetzten Pathos, ohne Zeigefinger, ohne Deutung.



    Der Film versteht sich als Hommage an den großen Regisseur Yasujirô Ozu. Kore-Eda verarbeitet hier unter anderem den Tod seiner Mutter vier Jahre zuvor. Ihn beschäftigt auch das Bedauern, dass es so viele Dinge gibt, die man nie ausgesprochen hat. Und Dinge, die man nicht wusste... bis es zu spät war. Dennoch lässt er einen leichten Unterton in den Film einfließen, um ihn nicht zu sehr in ein bedrückendes Drama abgleiten zu lassen. Doch sentimental ist der Film dennoch. Und Ryo ist, trotz allem, Teil seiner Familie. Er trägt das Erbe in sich. Und es wird fortbestehen. In diesem Leben, oder im nächsten.



    Und wieder ein Film für die "ruhigen Momente", der einem mit nimmt auf eine Reise in den Mikrokosmos der Familie. Er nimmt einen gefangen und bietet einem einen Platz an als Gast. Bittet zu Tisch und vermittelt Wärme.

    Hauptdarsteller Hiroshi Abe (Survive Style, Chocolate, Happily Ever After) spielt hier, wie auch die anderen, sehr zurückhaltend. Die Rolle an sich ist für ihn eher ungewöhnlich, doch die Herausforderung meisterte er gut. Seine Frau wird gespielt von Yui Natsukawa, die u.a. in Gonin 2, The Yin-Yang Master und Zatoichi zu sehen war. Des weiteren mit You (Be With You, Nobody Knows), Yoshio Harada (9 Souls, Azumi, Nightmare Detective) und Kirin Kiki (Kamikaze Girls, Izo, Tanz der Glühwürmchen).

    Gesichtet wurde die UK-DVD von new wave films, die den Film in ordentlicher Qualität und mit einem informativen Behind The Scenes brachte:
    http://www.ofdb.de/view.php?page=fassung&fid=158528&vid=299531

    Trailer:

    Unbedingte Empfehlung meinerseits.
    « Letzte Änderung: 31. Juli 2010, 12:52:27 von nemesis »


    Offline nemesis

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      Wird wahrscheinlich keine Sau interessieren, aber seit Ende März gibt es den Film auch auf Deutsch:



      Wird wahrscheinlich keine Sau interessieren, aber seit Ende März gibt es den Film auch auf Deutsch:
      Doch, mich schon.




      Offline nemesis

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        Seit langem habe ich endlich mal wieder Zeit gefunden, mich mit Seiji und seiner Frau Yuko zu treffen. Letzten Freitag haben wir Tokyo Story von Ozu gesehen, ein Klassiker über den Wandel der Zeit und der Generationen, und nachdem er mich nach ähnlichen Filmen gefragt hatte, habe ich heute (eigentlich gestern) diesen hier mitgebracht.

        Yoku hat erst einmal Soba gemacht, welches man um diese Jahreszeit gerne kalt isst. Man angelt sich die Buchweizennudeln und gibt sie in seine Schale mit Sojasoße und Brühe, gibt etwas klein geschnittene Frühlingszwiebeln und frisch geriebenen Ingwer dazu, und genießt. Herrlich erfrischend. Und köstlich.

        Beim Film konnte ich nun deutliche Parallelen zu Ozus Werk feststellen, sowohl was die Handlung angeht, als auch den Bildaufbau. Seiji und Yuko waren vor allem sehr angetan davon, dass der Film sehr authentisch und wirklichkeitsnah ist und tatsächlich wie aus dem Leben gegriffen wirkt. Das Miteinander und die Dialoge sind fern jeder Künstlichkeit, und die von mir weiter oben angesprochenen Punkte treffen tatsächlich absolut zu. Japanisches Kino, wie ich es liebe. Es dringt nicht zu einem durch den Kopf durch, sondern durch das Herz. Einfach nur schön.