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« am: 12. Mai 2004, 18:11:43 »
... ist zwar noch lange nicht fertig, aber ich wollte schonma die ersten Zeilen niederschreiben um rauszufinden, ob sich das weiterschreibseln lohnt. Fortsetzung befindet sich zur Zeit auf meinem 2. Rechner in Fulda, also für Nachschub ist gesorgt:
Die weisse Milch wirbelt umher, taucht ein ins Meer von schwarzen Tee und vermischt sich zu einer Farbe, die weder hell
noch dunkel zu sein scheint. Noch einige Male rührt Alice mit dem versilberten Löffel in ihrer Tasse umher
und schmunzelt leicht bei dem Schauspiel, dass sich ihr dort bietet. Die Welt ist ein so grosser Platz, doch auch eine
kleine Tasse kann ein schier unendlich grosses Gebilde in sich birgen, man muss sich nur vorstellen man wäre so unbedeutend klein, ein Partickel nicht mehr, und man sinkt immer tiefer und tiefer hinab, taumelt gen Boden und vielleicht wird man
ihn niemals erreichen. Vielleicht könne man da unten ja auch Erinnerungen versenken und zusehen wie sie sich immer mehr in der Dichte von einer hell-dunkelbraunen Flüssigkeit auflösen, bis man nichts mehr von ihnen sieht, dort unten wo keiner sie
suchen würde und sie niemals mehr das Tageslicht erblicken, dann könne sie vergessen... Alice schaut sich um und legt
dabei hastig ihren Löffel zur Seite ab, so dass die Tasse ein wenig am Rand hinüberschwappt.
Es ist niemand ausser ihr da, oder wenigstens sieht sie auf den ersten Blick niemanden um sich, alle Stühle vor dem kleinen
Bistro sind heute leer und im Schaufenster und der durchsichtigen Glasstür mit der dunkelgrünen Aufschrift
"Le tout monde du thé au lait" ist ein gedimmtes Licht zu sehen, kaum mehr als eine Kerze. Bernard muss noch in der
Küche sein und für ein paar Momente hat sie vergessen, dass es schon längst Mitternacht ist und sich keine Menschenseele
mehr auf den Straßen befindet. Das Mondlicht wirft nun seinen silbernen Glanz auf die Stadt, doch als sie in ihre erste
Tasse starrte war noch der gold-orangene Schein der Sonne zu vernehmen. Es ist als wäre die Zeit schnell an ihr vorrüber-
gegangen und hätte beobachtet, wie sie ihre kostbare Zeit verschwendete.
Sie kommt sich nun albern vor, da sie die ganze Zeit vor einer Tasse verbracht und zugeschaut hat, wie
ihr Lieblingstee allmählich erkaltet und zu dieser ungenießbaren Brühe wurde. Sie kann sich noch erinnern wie es war,
als sie den Tee hier zum ersten Mal serviert bekommen hat. Es war ein Tag wie dieser, blos früher am Abend, kurz nach der
Ankunft in Paris. Die lange Anreise und der Stress mit der Hotelsuche bleiben ihr ein unvergessliches Erlebnis. Ihr
Begleiter, ein gewisser Herr Mondieu, der seinem Namen alle Ehre macht, hat sie kurzerhand am Flughafen versetzt und
da er zu diesem Zeitpunkt der einzige von den beiden war, der die französische Sprache beherrscht, war sie völlig
aufgeschmissen in einem ihr völlig unbekannten Land, in dass sie ihre ganze Hoffnung steckte. Eine Hoffnung, die in
ihrer Heimat schon verloren schien. Mit ihren Zeigefinger tippt Alice im Takt zu einer Musik, die sich nur in ihrem
Kopf abspielt. Es war das erste französische Lied, dass sie zu hören bekam und sie kann den Klang nicht vergessen, alles
war an dem Tag schief gelaufen und doch kam alles ganz anders. Als sie mit ihren drei vollbepackten Koffern völlig fertig
mit den Nerven vor dem Bistro ankam, allein die Fahrt in die Innenstadt hatte ihr einige Kräfte geraubt, obwohl sie nur
als Beifahrerin in einem ansässigen Taxi mitfuhr. Sie war kurz bevor sie die Tür des Fahrzeugs schloss noch felsenfest
davon überzeugt, dass die Strassen von New York die schlimmsten sein mussten, die man auf Erden finden könne. Paris
weis nun mal in jeder Hinsicht zu überraschen. Es ist immer wieder erstaunlich miterleben zu dürfen, wie jede kleine
Schneise und Niesche in Bruchteilen von Sekunden mit Autos aufgefüllt werden, dicht an dicht, so dass nur noch die Fenster
Ausweg aus den Vehikeln zu bieten scheinen und jede Überquerung einer Strasse wohl überdacht werden muss. Rücksicht ist für die meissten hier, auch wenn man es ihnen in ihrer Sprache sagen würde, ein Fremdwort. Und mit jedem Mal, mit dem sie
ihr Taxi verließ um sich eins der schönen Hotels anzuschaun wechselte der fröhliche Ausdruck in ihrem Gesicht allmählich
zu einem Ausdruck der blosen Erschöpfung mit jeder Ablehnung, mit der sie wieder in ihren Taxirücksitz hineinsank. Genau
aus dem Grund beschloss sie eine Pause einzulegen an dem besagten Bistro. Tee war das einzige, was ihr je ihre schlechte
Laune hätte vertreiben können, in all dieser Zeit, egal was sie auch durchmachte. Doch Alice will nicht mehr in alten
Zeiten schwelgen, sich nicht wieder erinnern müssen an den Punkt in ihrem Leben, an dem alles anfing in die Brüche zu
gehen.