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Nachrichten - nr6de

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Serien / Antw:Nummer 6 (The Prisoner)
« am: 31. Januar 2012, 14:27:21 »
Danke! Ich wusste nicht so recht wohin, und so raumgreifend wollte ich nicht gleich sein.

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Sorry, meine Einlassungen sind reichlich lang, ich weiß.

SPOILER möglich.

Worum es bei THE PRISONER (2009) geht, erschließt sich am ehesten, wenn man sich mit dem Original von 1967, deutsch 1969, beschäftigt hat.

In THE PRISONER, oder auf deutsch NUMMER 6, spielt Patrick McGoohan einen hochrangigen Regierungsangestellten, möglicherweise ein Geheimagent, der plötzlich seinen Job niederlegt und daraufhin von
Unbekannten betäubt und entführt wird. Er kommt in einer Art Ferienort an der Küste zu sich, aus dem es, wie sich zeigt, keinen Weg nach draußen gibt. Telefone ermöglichen nur lokale Gespräche, Taxis machen
nur örtliche Fahrten, und auf Landkarten sieht man nur vage Bezeichnungen wie "Your Village", "The Mountains" oder "The Sea". Die Bewohner geben sich extrem heiter bis freundlich und grüßen einander stets
"Wir sehen uns!" Der örtliche Leiter stellt sich als "Nummer Zwei" vor und offenbart dem Neuankömmling, er sei "Nummer Sechs". Alle Bewohner sind nur mit Nummern statt Namen bekannt.
In jeder Episode versucht Nummer Zwei herauszufinden, warum Nummer Sechs den Dienst quittiert hat, seine Beweggründe zu erfahren und welche Informationen er sonst noch mit sich herumträgt. Nummer Sechs verweigert sich aus prinzipiellen Gründen, die nur er kennt. Ihn beschäftigt natürlich die Frage, wer "Nummer Eins" ist und wie er aus dem Ort fliehen könnte. "Ich bin keine Nummer. Ich bin ein freier Mensch!" sind seine Worte im Vorspann. Er ist zu keiner Kooperation bereit und setzt seinen Individualismus gegen Vereinnahmung jeglicher
Art. "Mit mir können sie keine Geschäfte machen. Ich habe mich zurückgezogen."

McGoohan war in den frühen 1960er Jahren Großbritanniens höchstbezahlter Fernsehstar gewesen, die Serie DANGER MAN (in Deutschland GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE) hatte ihn über die Grenzen hinweg bekannt gemacht. Mehrfach
wurde ihm die Rolle als James Bond angeboten. Er lehnte sie ab, weil sie ihm als gläubigem Katholiken zu unmoralisch erschien. Es kam Sean Connery. THE PRISONER wurde zur bis dahin teuersten britischen
Fernsehserie. Und weil das so war, die Zuschauerzahlen jedoch eher mäßig waren (noch während produziert wurde, liefen schon die ersten Episoden über verschiedene regionale Sender), entschied man sich, die Sache nach 17 Folgen
zu beenden. Das Finale als Doppelepisode wurde in Großbritannnien mit Spannung erwartet (wobei "Pas de deux" Monate zuvor fertiggestellt worden war). Doch McGoohan enttäuschte die Zuschauererwartungen.
Statt den großen Unbekannten als Nummer Eins aus dem Hut zu zaubern, einen Oberschurken à la Blofeld aus dem 1967er James Bond LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU (da aber noch anonym), präsentierte er ein symbolträchtiges Vexierspiel in einer theaterhaften Umgebung. Die Kritiker waren verwirrt, die Zuschauer gingen auf die Barrikaden. THE PRISONER, McGoohans Brainchild, wurde einstweilen zum Flop, und McGoohans Produktionsfirma war pleite. Er
verließ später Großbritannien in Richtung USA, wo er am 13. Januar 2009 starb.

Die 17 Episoden von THE PRISONER bedienen sich konventioneller Motive wie Fluchtversuche von Nummer Sechs, psychische oder physische Folter, Gehirnwäsche und andere Tricks und Manipulationen, um ihn zum Sprechen zu bringen. In fast jeder Episode wird Nummer Zwei durch eine neue ersetzt (damals
bekannte Schauspieler).
Die Ausgangssituation wird in der berühmten und in fast jeder Folge wiederholten Titelsequenz in beispielhafter Erzählökonomie gezeigt: Donnerschläge ertönen. Man sieht einen Mann mit entschlossenem Gesichtsausdruck im offenen Sportwagen, Lotus Super Seven, in die City of London fahren, in eine Tiefgarage. Im Büro seines Vorgesetzten findet
ein Streitgespräch statt (das man nur sieht, aber nicht hört). Dort haut er sein Kündigungsschreiben auf den Tisch und fährt nach Hause. Dabei wird er von einem Leichenwagen verfolgt. Als er seine Koffer packt, betritt ein
Leichenbestatter sein Haus. Gas strömt durchs Schlüsselloch und betäubt ihn. Als der Mann erwacht, findet er sich im "Ort" - im "Village".

NUMMER 6 durchbrach Genrekonventionen. Eine Westernepisode ist darunter und eine Parodie auf Agentenfilme oder -serien vom Typ James Bond. In einer anderen Episode finden Wahlen am Ort seiner Gefangenschaft statt, und er soll für den Posten von Nummer Zwei kandidieren... Während die Handlungen von NUMMER 6 noch ziemlich linear, also "normal" sind, sind sie doch von surrealistischen Brechungen durchsetzt.
Und je weiter die Produktion fortging, umso mehr Einfluss gewannen McGoohans Ideen und Bilder: Statt um Machenschaften mit einem gekidnappten Geheimagenten war es jetzt ein Diskurs um das Individuum, den freien Willen, Politik und Gesellschaft, Medien und Popkultur, Freiheit und Zwangssysteme aller Art. Das Produktionsdesign mit dem realen Drehschauplatz Portmeirion als ominöses Village taten ein Übriges und beförderten die Serie ca. 10 Jahre nach der Premiere ins Reich des Kults. Viele nachfolgende Film- und Serienformate sind ohne den Einfluss von THE PRISONER nicht vorstellbar.

ARTE hat 2010 den Original-PRISONER nach 18 Jahren erstmals wieder im deutschen Fernsehen ausgestrahlt und erstmals überhaupt komplett, alle 17 Episoden synchronisiert. Denn vier Folgen hatte das ZDF 1969 aus Gründen, über
die man spekulieren kann, fallen gelassen.

Das ist in groben Zügen der Hintergrund, vor dem das sogenannte Remake stattfindet. Auf der untersten Ebene, ganz grundsätzlich, stellt sich die Frage, warum jemand etwas Existierendes noch einmal würde machen wollen. Warum nimmt man sich eine 40 Jahre alte Fernsehserie als "Neuschöpfung" vor? Aus Sicht des Produzenten: um daran zu verdienen. Sicher, ehrenrührig ist das nicht. Nostalgie, als kleiner Junge mal gesehen, reicht als Begründung aber kaum aus. Eine Fernsehproduktion fast auf Kinofilmniveau ist schließlich keine Neuinterpretation auf der Klampfe.
Allerdings reicht es natürlich ebenfalls nicht, ein paar Sets wie das Vorbild einzurichten, statt einem Kündigungsbrief das Firmenfenster mit dem Wort "Resign" vollzusprühen. Oder aber Handlungselemente aufzugreifen oder abzukupfern: Entführung, Verschleppung, unbekannter Ort, kein Entkommen, Identitätsklau. Die Handlung schließlich als virtuelle Realität zu verkaufen, noch dazu bei all den handwerklichen und erzählerischen Löchern, das ist mehr als fragwürdig.
Zudem sollte der Drehbuchautor durchblicken lassen, dass er sich etwas dabei gedacht hat und uns gleichfalls wissen lassen was, dass er den Faden in einer bestimmten Richtung weiterzuspinnen gedachte.

Das gerade ist die Leistung des Films CUBE als genuin "prisonereske" Neuschöpfung!   

Man hat hier die wechselnden Nummer Zweien durch eine einzige Person ersetzt. Das kann man bei nur sechs Episoden vertreten. Das größte Problem ist aber die Figur 6. Es handelt sich nicht mehr um einen Regierungsangestellten, einen Menschen mit Verantwortung für ein vorgebliches demokratisches Gemeinwesen, sondern um den Datenanalysten einer Privatfirma, der irgendwas bei seinen Beobachtungen entdeckt hat, das ihn aussteigen lässt. Daraufhin landet er in einem Ort ("die Stadt"), der anscheinend oder angeblich der einzige auf der Welt ist. Für diese Produktion spielt aber es keine Rolle mehr, was 6 da herausgefunden hat. Der Ort ist darüber hinaus, das zeigt sich gegen Ende, gar kein physischer Ort. Wie werden die Leute dahin überführt, was passiert mit ihnen? Niemand weiß es. Vor allem aber ist 6 dem Vorbild in keiner Sekunde gewachsen. Er ist nicht (wie McGoohans Produktionsfirma hieß) "Jedermann", sondern in Wirklichkeit ein "Niemand" - als Rolle und Jim Caviezel als Schauspieler.

Letzten Endes wird 6 zum Nachfolger und Vollstrecker von 2 und dessen fragwürdigem Werk einer "gated community" der repressiven Glückseligkeit. Denn 2 ist auch ein schlimmer Finger mit Blut an den Händen. Und es handelt sich nicht um eine Ironie des Skriptes. Allein das ist kaum mit dem Original vergleichbar und noch weniger vereinbar. Verschärfend hinzu kommt das vergeigte Drehbuch von Bill Gallagher. Seine fragmentierende Erzählweise mag er für modern oder gar surrealistisch halten. Sie ist aber nur sprunghaft, ja volatil. Ganze Handlungsmotive fallen auf halbem Weg unter den Tisch. Buchstäblich tun sich nicht nur auf dem Fernsehschirm riesengroße Löcher auf. Davor war freilich auch das Original nicht sicher, das steht fest. Aber dort war die Erzählung, waren die Spannungsbögen (fast) jederzeit klar ersichtlich und, bis auf die Abschlussepisode, in sich konsistent.

Nach allem, was über das "Remake", die "Neuinterpretation" oder eben "Neuschöpfung" geschrieben wurde, ist das der Hauptgrund, warum die Reaktionen in den USA, in Frankreich und in GB fast durchwegs mau waren. Dass zudem Caviezel als 6 mit Ian McKellen als 2, dem wahren Star der Show, nicht mithalten kann, steht auf einem anderen Blatt.

AMC und ITV als produzierende Studios haben sich ohne Not eine Vorlage genommen, an der sie sich jetzt messen lassen müssen. Das konnte nur schiefgehen. Ein Mühlstein, an dem die Produktion sich verhoben hat. Dabei sage ich allen, seht's euch an! Es gibt Qualitäten. Aber vergesst THE PRISONER in diesem Zusammenhang.

Wir sehen uns! - www.nummer6-theprisoner.de

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