48366
« am: 03. September 2002, 01:09:36 »
Naja, wenn ihr nicht wollt...dann schiebe ich halt fleissig nach...ihr verdient es nicht anders...und ab dafür:
Das Motel 24 lag am Rande von Salmonville, und auf dem Parkplatz, welcher großzügig bemessen war, stand meistens kein einziger Wagen, fast so wie nun. Fast, weil in seiner hintersten Ecke ein blauer Pick-Up parkte, der dem Nummernschild zufolge nicht hier beheimatet war.
Der Wagen gehörte Jonas Watson, der aus dem schmierigen Fenster des Zimmers Nr. 17 ins Freie starrte. Ins Leere. Seine Gedanken waren meilenweit entfernt. Wie hatte es nur so weit kommen können? Bis vor kurzem war die Welt doch noch in Ordnung gewesen...
Jonas war ein Eye-Catcher, er sah wirklich außergewöhnlich gut aus. Sein fein geschnittenes Gesicht, die tiefen blauen Augen, seine perfekt manikürten Hände, die Art, wie er sich kleidete – jede Frau, und das war nicht einmal übertrieben, drehte sich nach ihm um. Jonas fühlte sich dadurch natürlich geschmeichelt, doch es bedeutete ihm nicht wirklich viel, denn für Frauen interessierte er sich nicht sonderlich. Colin Ross, der mit ihm hier eingecheckt hatte, war es, dem sein Interesse galt – und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Und genau das war auch der Grund, warum sie von Zuhause abgehauen waren.
Es war ein Fehler gewesen, es seinem Vater zu sagen. Ein großer Fehler. Doch Jonas wollte ehrlich zu ihm sein, und diese Ehrlichkeit wurde ihm prompt mit einer blutigen Nase gedankt. Wie konnte er auch so naiv sein, von seinem Alten so etwas wie Toleranz zu erwarten? Deutlich erinnerte er sich noch an die letzten Worte seines Vaters, die wie eine brennende Messerspitze in sein Herz gefahren waren: „Ich kann nicht glauben, dass ich eine Schwuchtel großgezogen habe! Eine männerarschliebende aidsverbreitende Schwuchtel!“
Jonas schlug mit der Faust gegen den Fensterrahmen. Er hasste seinen Vater. Und er hasste seine Mutter, die während dieser Beschimpfungen nur still in der Ecke gestanden hatte, zu Boden blickend.
„Alles in Ordnung?“ fragte Colin, der soeben aus dem schäbigen kleinen Bad gekommen war und sich die Haare trocknete. Colin war ein Jahr älter als Jonas, 19, und wirkte etwas unscheinbarer als er. Er war sein ruhiger Gegenpol. Wann immer das Temperament mit Jonas durchging, war es Colin, der ihn bremste und wieder auf den Boden zurückholte.
„Was fragst du?“ Jonas schnaufte deprimiert. „Nichts ist in Ordnung. Ich habe den Wagen meines Dads geklaut und bin mit dir abgehauen, wir haben kaum Geld, und die Bullen sind bestimmt auch schon hinter uns her, ich kenne doch meinen Alten. Was sollte da in Ordnung sein?“
Colin legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Vielleicht beruhigt er sich ja irgendwann wieder.“
„Eher gefriert die Hölle.“
„Er muss doch irgendwann einsehen können, dass du anders bist, als er es sich vorgestellt hat.“
„Die halbe Welt kann das nicht, warum sollte gerade er das tun?“
Jonas trat vom Fenster weg und ging zum Kühlschrank hinüber, aus dem er sich eine kalte Coke nahm, den Kronkorken in eine Ecke schnickte und einen Schluck nahm.
„Und wie soll es dann weitergehen?“
„Ich weiß es nicht.“ Jonas legte sich die Flasche an die Stirn, genoss die Kühle. „Vielleicht suche ich mir irgendeinen Job, irgendwie werden wir uns schon über Wasser halten. Vielleicht bleiben wir noch ein paar Tage hier, warten ab. Uns wird schon etwas einfallen.“
Colin nahm ein frisches Hemd aus seiner Sporttasche, die er aufs Bett gestellt hatte und zog es langsam an.
„Da bin ich mir sicher“, sagte er. „Wir schaffen das schon, das haben schon ganz andere geschafft.“
Jonas lächelte. „Du und dein Optimismus.“
„Ich weiß, und dafür liebst du mich.“
„Das tue ich.“
Jonas trat zu ihm herüber und küsste ihn auf die Stirn. Shampoogeruch stieg in seine Nase.
„Ich weiß.“
„Ich weiß, dass du das weißt.“
„Mehr musst du auch nicht wissen.“
Jonas ging wieder zum Fenster, stützte sich am Rahmen ab und sah wieder auf den Parkplatz. Der Schmerz in seinem Innersten würde vergehen. Die Zeit heilte alle Wunden. Hoffte er zumindest.
Das Quietschen von Reifen riss ihn aus seinen Gedanken. Ein roter Lieferwagen kam mit irrsinniger Geschwindigkeit auf den Parkplatz geschossen und kam gerade noch so vor der Rezeption zum Stillstand. Zwei Männer sprangen heraus und sprinteten ins Innere des Gebäudes.
Jonas lächelte. Die beiden hatten es wirklich eilig.
Der etwas übergewichtige Glatzkopf hinter dem Tresen ließ vor Schreck fast seine Zeitung fallen, hinter der er eine ältere Ausgabe des Penthouse verborgen hielt, als die zwei Neuankömmlinge sich an die Theke warfen.
„Telefon!“ schnaufte einer von ihnen. Er trug die Uniform eines Pizza-Service. „Wir müssen telefonieren!“
Die Mentalströme des Motelbetreibers kamen nur langsam in die Gänge.
„Ich habe gar keine Pizza bestellt...“ sagte er träge.
„Verdammt, ich habe auch keine dabei, wir müssen telefonieren!“
„Nur die Ruhe, junger Mann, was ist denn los?“
„Sie würden es uns ja doch nicht glauben“, entgegnete der andere, sichtbar unruhig.
„Habt ihr was verbrochen?“
„Nein, die Hölle bricht gerade los, und wir müssen verdammt noch mal telefonieren!“ schrie der Pizzajunge.
„Nicht in dem Ton, junger Mann“, versuchte die Glatze ihn zu reglementieren, als dieser schon über die Theke griff und das Telefon ergriff, das er erspäht hatte.
„Moment mal!“
„Keine Panik, Sir“, sagte der andere. „Die könne Sie noch früh genug bekommen!“
Jonas sah, wie die beiden Sprinter wieder aus der Rezeption herauskamen und sich umsahen. Was suchten die beiden? Einer von ihnen ging zurück zum Lieferwagen, der andere – hatte er nicht die Uniform eines Pizza-Service an? – kam zielstrebig auf ihr Zimmer zu.
„Colin?“
Colin trat zu Jonas ans Fenster. „Was ist?“
„Da geht irgendwas seltsames vor. Pack lieber mal unsere Sachen wieder ein, das ist mir nicht ganz geheuer.“
Colin tat, was Jonas ihm geraten hatte, als es an der Tür klopfte.
Jonas ging zur Tür. Er wartete noch einen Augenblick und hörte eine Stimme dahinter.
„...nicht die Nationalgarde schicken, nein, unseren Rausch sollen wir ausschlafen, war ja klar...“
Mit einem Ruck öffnete Jonas die Tür.
„Was gibt´s?“
„Ich will mich kurz fassen. Ich bin Luigi, mein Freund da drüben im Lieferwagen ist Stan, die Stadt wird gleich von Untoten überrannt, macht dass ihr weg kommt!“
„Moment, Moment, WAS?“
“Sie haben richtig gehört, die Toten leben...oder so, jedenfalls sind sie auf dem Weg hier her, und das ist nicht gut, also schnappt euch, was ihr habt und verzieht euch, so schnell es geht!“
Der Pizzajunge machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück zum Lieferwagen, dessen Motor angelassen wurde.
Jonas schloss die Tür. Verdutzt schaute Colin ihn an.
„Was war das denn?“
„Bin mir auch nicht so sicher...“
Jonas sah wieder aus dem Fenster und erblickte gerade noch die Rücklichter des Lieferwagens, der vom Parkplatz rauschte. So stand Jonas noch eine Weile dort, blickte ins Freie und wunderte sich.
„Vielleicht sollten wir wirklich von hier verschwinden“, sagte er schließlich.
„Wegen dieses irren Typen eben?“, fragte Colin.
„Nein...eher wegen der Zombies, die da gerade auf den Parkplatz getaumelt kommen...“