Die Umarmung des Todes
Eine Leiche zu zersägen, ist gar nicht so einfach -- besonders wenn man es noch nie gemacht hat. Aber Masako Katori hat nun mal ihrer Kollegin Yayoi Yamamoto versprochen, den kalten Körper ihres Mannes Kenji unauffällig und fachgerecht zu entsorgen. Yahois Gatte war dem Glücksspiel und einer schönen Bardame verfallen und hatte am Ende das gemeinsame Ersparte der jungen Eheleute einfach versetzt. Vom blinden Zorn gepackt, erwürgte Yahoi ihren Ehemann -- und fühlte dabei nicht mal ein schlechtes Gewissen.
Die Leichenbeseitigung als etwas ausgefallene Form weiblicher Solidarität macht die beiden Kolleginnen aus der Lunchpaketfabrik am Rande Tokyos zu Komplizinnen, doch sie bleiben nicht allein. Zu ihnen stoßen die alte Yoshï, genannt die Meisterin, weil sie am Band die schnellste ist, und die träge Kuniko, die über ihre Verhältnisse lebt und ständig in Geldschwierigkeiten steckt. Gemeinsam verpackt die Viererbande den zerlegten Gatten in einzelne Müllbeutel, und entsorgt diese dann an verschiedenen Abfallsammelstellen. Ein solider Plan, den die energische Masako sich ausgedacht hat, doch dann macht Kuniko aus schierer Faulheit einen entscheidenden Fehler. Nicht nur die Polizei, auch die Yakuza der japanischen Mafia interessiert sich bald für die Arbeit der vier unterschiedlichen Frauen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Doch die größte Gefahr droht ihnen von einem Mann, der seiner grausamen Vergangenheit nicht entfliehen kann.
In ihrer Heimat ist die japanische Autorin für Die Umarmung des Todes begeistert gefeiert und mit wichtigen Preisen ausgezeichnet worden. Zu Recht, denn Natsuo Kirino bietet Nippon Noir vom Allerfeinsten mit einem Gespür für die Untiefen der menschlichen Psyche, das an Patricia Highsmith erinnert. Auf spektakuläre Effekthascherei verzichtet die Autorin, dafür ziehen ihre psychologisch überzeugenden Porträts und die unbarmherzige Logik des schrecklichen Geschehens die Leser umso mehr in den Bann der Geschichte.
Kirino-san beschreibt aufmerksam und präzise die Unterseiten der japanischen Gesellschaft und die sozialen Verwerfungen, die aus der Spannung zwischen der Strenge traditioneller Hierarchie und der fatalen Dynamik der modernen Konsumgesellschaft entstehen. Am meisten leiden darunter die jungen japanischen Frauen und die Mütter, wie Kirino an vielen Stellen eindringlich darstellt. Gerade in der gelungenen Verbindung von erzählerischer Spannung und sozialkritischer Beobachtung erweist sich Die Umarmung des Todes als eindrucksvoller Roman! (amazon.de)
Das über 600 Seiten dicke Buch der Autorin (!) ist wirklich ein ganz außergewöhnliches Werk. Ich schreibe bewusst "massentauglich", da es wirklich für jeden Genrefan interessant ist. Einerseits ein einzigartiger mit westlicher Schreibe nicht vergleichbarer Stil; andererseits so spannend und fesselnd geschrieben, dass auch Japan-"Gegner" es lieben werden.
Die Helden in Kirinos Geschichten scheinen oft Frauen zu sein, die sich emanzipieren und ihre Unabhängigkeit beweisen. Gesellschaftliche Außenseiter. Gesellschaftliche Missstände werden aufgegriffen und in ein narratives Gewandt gepackt, das seinesgleichen sucht. So geht es u. a. um die Rolle der Frau in der Gesellschaft, soziale Ungleichheit, Integration von Immigranten, das Arbeitssystem etc.
Den Gorefreund sollten einige heftige Einlagen erfreuen (Stichwort: Zersägen von Leichen), die man so in westlicher Literatur nicht so häufig findet. Und auch auf psychologischer Ebene intensive Beschreibungen - vor allem der Showdown (Stichwort: Vergewaltigung und Seelenverwandtschaft) ist mit das Intensivste, was ich je gelesen habe. Holy Shit!!
Im Gegensatz zum zweiten auf deutsch erschienenen Kirino-Buch,
Teufelskind, hat dieses Werk jede Menge Lob und Auszeichnungen einheimsen können - völlig zurecht.
Fesselnd, spannend, hart, gut - ihr werdet mit offenen Mündern zurückbleiben.