Eine Kritik von BLADE RUNNER aus der OFDb:
How fucked up is that? Extrem abgefuckt! Aber im positiven Sinn! Seit Jahren, eigentlich seit “Se7en”, fällt niemandem in diesem Genre etwas Neues mehr ein – außer James Wan. Der junge Mann, dessen bisheriges Schaffen nicht über ein paar Kurzfilme und Musikvideos hinausging, zaubert mit seinem Regiedebüt „Saw“ mal eben den besten Thriller der letzten Jahre auf die Leinwand. Nach der innovationslosen Konfektionsware Hollywoods war eigentlich klar, dass neue Impulse aus dem Independent-Bereich kommen mussten. „Saw“ ist so einer. Mögen noch mehr davon kommen.
Dr. Gordon (Cary Elwes, „Robin Hood: Men in Tights“ !) und Adam (Leigh Whannell, verfasste zusammen mit Wan das Drehbuch) wachen in der schmutzigen Kloake von einem Keller auf, wissen zunächst nicht wie sie dahin gekommen oder warum sie angekettet worden sind, kennen sich einander scheinbar auch nicht, erfahren aber bald, dass sie nur eine begrenzte Zeitspanne haben, um jemals wieder aus diesem Schlamassel zu kommen. Hier jetzt mehr zu verraten wäre eine Sünde. Der Film lebt von diesem perversen Spiel des Killers. Er spielt seine beiden Opfer gegeneinander aus, steckt ihn neue Informationen zu und lässt sie Entdeckungen machen. Der Raum birgt so einige Geheimnisse, die erst auf den zweiten Blick erkannt werden. Getragen wird dieses Kammerspiel von beiden hervorragend aufgelegten Akteuren, die ihren Figuren Glaubwürdigkeit verleihen. Die anfängliche Panik soll irgendwann in Verzweiflung umschlagen, als Gordons Familie involviert wird...
Sicher, „Saw“ ist hin und wieder etwas überkonstruiert, denn auch wenn der Plan des Killers genial ist, kann er unmöglich die Verhaltensweisen seiner Opfer vorher sehen – vielleicht einige, aber nicht alle. Wer sich über diese kleinen Logikfehler mokiert, kann sich gern den Mund über den Film zerreißen. Sie fallen sowieso erst im nachhinein auf. Alle anderen dürfen ihren Spaß haben, den Wans düsterer, nihilistischer Streifen hat keinerlei Durchhänger, ist schnörkellos inszeniert und trotz seiner Lauflänge von knapp über 100 Minuten recht flott. Dank der Unvorhersehbarkeit des Plots garantiert „Saw“ ein Höchstmaß an Spannung. Wer glaubt die Lösung gefunden zu haben, wird durch Schlussszene eines Besseren belehrt..
Parallel zu der sich zuspitzenden Situation im abgeschotteten Killer, ist der Cop Tapp (Danny Glover, „Lethal Weapon“, „Predator 2“) auf der Spur Jigsaws, wie der Killer genannt wird, weil er jedem seiner Opfer ein Brandzeichen in Form eines Puzzlestücks verpasst. Stets hinkt er dem Killer einen Schritt hinterher und kann nur noch die Leichen beziehungsweise deren Reste untersuchen. Die Arbeitswut soll, nach einem tragischen Unfall, in Obsession umschlagen. Glover spielt stark und unauffällig, ist aber nicht der Star des Films. Überhaupt sind die namhaften Darsteller wie Dina Meyer (jedeglich ein Cameo) und Monica Potter (Nebenrolle) längst nicht so präsent, wie erwartet. Die Hauptrollen spielen immer noch die beiden mit ihrem Schicksal hadernden Elwes und Whannell.
Auch wenn James Wan den düsteren Bildern David Finchers nacheifert, findet er seinen eigenen Stil. Der kritisierte Stilmittel-Overkill findet nicht statt, auch wenn Wan, zur Industrialmusik der beiden ehemaligen „Nine Inch Nails“ – Mitglieder Danny Lohner und Charlie Clouser, fast ausschließlich mit Zeitraffer und Schnittstakattos arbeitet. Ausgefallene Kameraperspektiven gehören genauso zu seinem Repertoire wie Farbfilter.
Die kranken Highlights sind stets die sadistischen Spiele des Killers. Jedes seiner Opfer wird mit einem Zeitfenster ausgestattet, um sein Leben zu retten. Hier auch ein Lob an das wirklich einfallsreiche Skript, denn die Ideen des Killers sind wirklich ungeheuer fies und bereiten keine altbekannten Ideen wieder auf. Ein explizites Gorefest findet dabei allerdings nicht statt, denn „Saw“ bezieht seine Kraft aus dem psychologischen Terror und weniger aus blutigen Därmen und abgetrennten Gliedmaßen – auch wenn es zwei Szenen dieser Art gibt. Für sein R-Rating dürfte der Film somit kaum Federn gelassen haben.
Der Plot wird nicht linear erzählt und ist deswegen umso spannender. An Erkenntnisse gelangt der Zuschauer in Flashbacks und kann sich so langsam ein Bild machen. Ungewöhnlich wie gut diese Erzählweise hier funktioniert, haben solche temporären Sprünge doch schon zu Genüge Thrillern den Wind aus den Segeln genommen. Auch die Wechsel zwischen den beiden parallel verlaufenden Handlungen sind gut getimt.
„Saw“ ist ein kleiner Geniestreich, der von seinem intelligenten Skript, der düsteren Optik und den schmutzigen Sets lebt. Der dramaturgische Aufbau, das Zuspitzen der Situation, könnte kaum besser umgesetzt sein und wird abschließend von einem Mindfuck gekrönt. Das Publikum wird ab der ersten Minute involviert und zum Mitdenken aufgefordert, da Informationen nur Häppchenweise weitergegeben werden. Es ist den Protagonisten dabei zwar ab und an mal einen Schritt voraus, kann aber selbst nie den weiteren Ablauf bestimmen. Das erhält die enorme Spannung aufrecht und die hält sich über die gesamte Filmlänge.
Es ist ungewöhnlich, dass sich gleich so viele bekannte Namen für ein Independent-Projekt, dass hinsichtlich der Akzeptanz des Publikums ein Risiko ist, hergeben. Während Monica Potter wenig zu tun hat, brilliert Danny Glover, ganz gegen seine Paraderolle Roger Murtaugh anspielend, als von diesem Fall besessener Cop, der ab einer schicksalhaften Begegnung nur noch ein Ziel verfolgt.
Cary Elwes und Leigh Whannell haben in ihren Hauptfiguren maßgeblich zum durchweg positiven Endresultat beigetragen und mussten sehr emotionelle Reaktionen zeigen. Besonders Elwes Mimik fällt dabei positiv auf. Einziger Kritikpunkt ist der Anfang, als der Film, beziehungsweise seine Darsteller, auf ein paar Publikumslacher aus zu sein schien(en).
Es ist die dichte, verstörende Atmosphäre, diese bedrückende Stimmung, die den Film auf das Level von „Silence of the Lambs“ oder „Se7en“ hievt. Selten schafften es Regisseure permanent präsentes Unbehagen in den Köpfen seines Publikums zu manifestieren. Wan gelingt das hier hervorragend, was wohl daran lag, dass man ihm hier freie Hand ließ, was bei einer Big-Budget-Produktion nie möglich gewesen wäre. Dieses Privileg ist auch ein Grund, warum „Saw“ wesentlich teurer aussieht, als er war.
Fazit:
„Saw“ ist ein herber, kompromissloser, referenzverdächtiger Thriller, der sich in seine düsteren, dreckigen Optik, dem allgegenwärtigen Pessimismus und seinem Ende komplett dem Mainstream verweigert. Das Skript ist, trotz kleinerer Schwächen, ein Geniestreich, die Inszenierung, insbesondere am niedrigen Budget gemessen, topp, während die Schauspieler sich sehr intensiv mit ihren Rollen auseinander setzen. Die sadistischen Spiele des Killers erledigen den Rest. „Saw“ ist mit führend in seinem Genre und wohl das spannendste und atmosphärischste Stück Zelluloid, das ich seit Jahren im Kino gesehen habe – ein Meisterwerk aus der Independentecke.