Heidelberger Halbmarathon 2012oder....
"Wir ham noch Zeeeiiiiiiiittt!"
..sagt mein Laufkumpel und ich sitze bei ihm in der Wohnung und er lümmelt noch in der Trainingshose auf der Couch rum.
Heute Morgen habe ich nochmal kurz meinen gesundheitzustand gecheckt und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich doch fit bin und laufen kann.
Ich war dann auch extra überpünktlich bei meinem Laufkumpel in der Heidelberger Südstadt angekommen, aber er ist natürlich wie immer völlig beruhigt und lässt sich Zeit. Erfahrungsgemäß führt das bei ihm
eigentlich immer zu Verspätungen. Das hatten wir schon letztes Jahr in Heidelberg wo wir gerade noch rechtzeitig in den Startblock kamen und auch schon in Karlsruhe wo wir auch fast zu spät gewesen sind.
Er findet das passend, mich stresst sowas jedoch extrem.
Ich brauche nicht auch noch in der Freizeit solchen Zeitdruck sondern will einfach rechtzeitig bereit sein. Auch wenn ich dann noch ein paar Minuten warten muss.
Auf jeden Fall kommen wir irgendwann nach endlosen Umzugs und Bad Besuchen los und radeln in aller Seelenruhe, fast schon im Schritttempo ganz gemütlich in die Innenstadt. "Wir ham noch so viel Zeit! Das passt perfekt!" höre ich da schon wieder.
Nach meiner Uhr haben wir nur noch 20-25 Minuten bis zum Start unseres Startblocks.....
Etwas lockeres Gegondel durch die Innenstadt und die Suche nach einem Platz wo man die Räder abstellen kann.
Nachdem mein Kumpel endlich einen Platz gefunden hat der ihm gefällt, sind wir dann zur Gepäckabgabe, natürlich mit Umweg...
aber "Wir ham ja noch Zeeeiit!"
In der Uni schnell die Rucksäcke abgegeben, ich muss noch schnell auf die Toilette. Oh Mist nur noch 5+ Minuten.
Das geht zum Glück genau auf, ich hechte aus der Toilette und mein Kumpel meint "Oh ich muss nochmal zum Rucksack, hab die Uhr vergessen."
...aaaaarrrgggghhhllll ..."Warum warst du da nicht während ich auf der Toilette war?"..."Bin gleich wieder da das passt."
Ich bin inzwischen ein völliges Nervenbündel da nach meiner Uhr die Zeit abgelaufen ist.
Da kommt er endlich wieder.
"Passt doch super, das gibt noch etwas extra Adrenalin!"
Das ich darauf gut und gerne verzichten kann erwähne ich in dem freundlichsten Ton zu dem ich noch fähig bin.
Auf dem Weg hoch zum Start will mein Kumpel gleich noch eine Abkürzung hinten durch die Startblöcke nehmen wo wir dann mitten im Stau feststecken.
Wärenddessen hören wir wie der Sprecher verkündet dass der zweite Startblock nun schon komplett gestartet ist und sich der dritte bereit machen soll.
"Super!" Im Zweiten hätten wir stehen sollen
Wenigstens wird jetzt endlich auch meinem Kumpel klar, dass das gelinde gesagt ziemlich scheisse war.
Jedoch stecken wir mitten im vierten Block fest. Ich versuche so ruhig wie möglich zu sein. Während mein Kumpel noch plant ob es sinnvoll wäre wieder zurück und außen rum zu rennen.
Auf jeden Fall schaffen wir es nach etwas Gedrängel noch in den dritten Block der gerade startet und gehen am Ende dieses Blocks ins Rennen.
Das ist der größte Block und es ist randvoll. Im Zickzack versuche ich voran zu kommen um etwas nach Vorne zu kommen um dort hoffentlich freier laufen zu können.
Durch die Friedrich Ebert Anlage Kurver am Bismarkplatz (km 1 in 4:40) und ab in die Hauptstraße. Oh, fast ein wenig zu schnell.
Mein Kumpel enteilt mir nach Vorne weg und ich lasse ihen ziehen.
Einerseits weil ich weiß dass er doch deutlich schneller laufen kann als ich, andererseits bin ich noch sauer auf seine andauerndes "Wir ham noch Zeit. Keinen Stress".
Während ich versuche im Zickzack irgendwie im Feld vorwärts zu kommen beschließe ich dass er nächstes Jahr alleine zum Start kommen kann. Ich stehe dann im Startblock, ganz egal ob er kommt oder nicht. Den Scheiss mache ich jetzt echt nicht mehr mit, denn genau das verursacht Stress und nicht das 10 Minuten zu früh am Start zu stehen.
Hier fällt mir schon auf dass es ganz schön warm ist. Die Wolkendecke ist zwar komplett geschlossen und es gibt teilweise recht stürmische Windböen aber es ist schwül und gut 22°C warm.
Eigentlich nicht meine Temperatur. Zum Glück bin ich mit Rennshort und Trägershirt losgelaufen. Auf jeden Fall ist mir bei km2 schon recht warm.
Ende der Hauptstraße, Kurve um die
Heiliggeistkirche und über Kopfsteinpflaster runter an den Neckar und über die
Alte Brücke rüber auf die andere Neckarseite.
Am Neckar entlang versuche ich mein Tempo zu finden und bin weiter am überholen.
Nach der Theodor-Heuss Brücke stehen wieder die Mädels (Meine Freundin und weitere Freundinnen) Zickzack laufend grüße ich freundlich und arbeite mich weiter durchs Feld. Puh, schon recht anstrengend, deswegen gönne ich mir auch gleich an der ersten Getränkestelle einen Becher Wasser den ich aber hauptsächlich zum Kühlen des Kopfes verwende. Schleife durch Neuenheim, viel Anfeuerung durch die Anwohner
,
Kilometer 5 in ~24:19.Ok geht eigentlich, aber locker fühlt sich das bei den vorherrschenden temperaturen und der Luftfeuchtigkeit nicht an. Schweiss läuft mir die Schläfen herunter. Aber ich muss jetzt nicht mehr soviel Zickzack laufen und kann das Tempo halten, meine Eltern grüßen während ich vorbeidüse und wieder runter an den Neckar komme. Wieder an den Mädels vorbei, durch die Gasse am Stamm-Pub, Hmmm Guinness
, äh...quatsch laufen...
KM 7 in 33:42 ~4-5 Sekunden langsamer als letztes Jahr.
Jetzt gehts los:
Rein in die Albert-Überle Straße ich versuche mich gleich zu bremsen. Es ist wärmer als letztes Jahr und ich hatte da schon Puddingbeine.
Heute geht das besser, auch wenn ich etwas langsamer bin. Aber oben am
Philosophenweg angekommen ist dieses jahr richtig Action.
laute, treibende Mucke und sogar ein extra Ansager, sowie hunderte Anfeuerer die einen den ganzen nächsten Kilometer begleiten. Das hat immer etwas von einer Bergettappe der Tour de France. Einen letzten Blick rüber nach Heidelberg.....
.. schon witzig da unten bin ich vor nicht mal einer halben Stunde durchgeflitzt. Durch das Spalier der anfeuernden Menschen renne ich weiter bergauf und einen Kilometer später langsam hinein in den Wald.
KM 9 in 45:xxKeine Ahnung mehr was die Sekunden angezeigt haben. Ich bin schon schwer am schnaufen, aber die Beine signalisieren noch gelb-grün.
Wieder sammle ich langsam Läufer vor mir ein. Hier gehen auch schon die Ersten. Ist nichts ungewöhnliches in Heidelberg. Sehr viele unterschätzen die doch sehr knackigen Anstiege die für Untrainierte einfach eine Spur zu heftig sind. Die tun mir gerade echt leid, denn hier bei
km 10 in 51:27 (hey, ein paa Sekunden schneller als letztes Jahr
) ist der Lauf noch lange nicht rum und die richtig fiesen Dinger kommen noch.
Vorbei an der Hütte und dem höchsten Punkt und die erste steile Rampe bergab.
Ich lasse es laufen und kann auf dem kurzen geraden Zwischenstück auch wieder beschleunigen und einsammeln.
Gleich darauf geht es die zweite steile Rampe bergab zum Kloster
Stift Neuburg.
Hier nach km 12 (Zeit vergessen, irgendwas ~1:02) geht es jedoch gleich wieder radikal nach Oben. Sieht auf dem Höhenprofil nicht schlimm aus ist aber eine gefühlt endlose Rampe mit ~14% Steigung. Wieder versuche ich Reserven einzubehalten was mir aber nicht wwirklich gelingt.
Kurz vor der Kuppe, mitten durch das Menschenspalier (Vielen Dank für die Anfeuerung.
) merke ich wie sich mein Blick trübt und ich in den Tunnelblick-Modus umschalte, klater Schweiss mir den Rücken runterläuft, ...durchhalten Kuppe, Atmen.... Wasser.....aaaaaahhhhh zwei kurze Schritte gehen noch ein schluck und wieder beschleunigen, die fiesen Serpentinen nach Ziegelhausen. Sausteil. Körper wird gestaucht, aber ich muss das Tempo halten..... warum....hmmm ich realisiere dass mein Wettkampf gen wieder die Kontrolle übernommen hat.
Es ist Wettkampf und es wird gefällgst gekämpft.
Locker durchlaufen is nich.
Durch Ziegelhausen gebe ich so gut es geht Gas, habe aber wenig Erinnerungen.
Brücke in Ziegelhausen zurück auf die andere Neckarseite, Laute Blasmusik, kenne ich.
KM15 in 1:17:xx So um den Dreh wie letztes Jahr.
.. und das trotz sehr warmen Temperaturen meiner kleinen Erkältung in der Vorwoche und den völlig vergeigten Start mit dem ganzen Zickzack um sich im Feld voranzuabreiten.
Das motiviert mich gerade ungemein.
Davon beflügelt geht es am Necka entlang und hinein in den Jägerpfad. auch genannt "Die Wand".
Zwar langsam, aber immerhin durchgehend laufend überwinde ich auch das kurze Teilstück mit 18% Steigung. Und wieder werden die Ränder meines Blickfelds langsam schwarz, kalter Schweiss und ich keuche wie ein Kessel mit Überdruck. Aber auch hier hat es sich ausgezahlt nicht zu übertreiben. Einige Meter weiter kann ich langsam Schritt für Schritt wieder das Tempo steigern und komme die nächsten 500 Meter sachte bergauf wieder in Fahrt und halten ein schnelleres Tempo.
KM 17 fliegt vorbei, irgendwas mit 1:30:xx
Sackzement, das ist fast so wie letztes Jahr. Aber es geht noch etwas bergauf.... 4,1 km.... ich brauche einen Schnitt von unter 5min/km.....
Aber weiteres Beschleunigen ist nur unter fiesem Ziehen im Bauch/Zwerchfell möglich und mehr als unangenehm.
Zusammen mit einer kleinen aber ziemlich toughen Triathletin sammel ich noch weitere Läufer ein. Da kommt die Villa Bosch, letzter kleiner Anstieg....
Da ist schon der Schlossgarten und das Heidelberger Schloss zu sehen ich versuche nochmal alles zu geben...
KM19 in 1:40:14Oh Mist das ist zu knapp für noch 2,1 km in meinem aktuellen Zustand. Aber nun geht es bergab.
Ich gebe Gas, hinunter immer weiter, nicht stolpern nicht überziehen, denn die Wade zuckt schon.
KM 20 in
1:44:59Fuck wird das knapp.
letzte Bergabkurve..... Bergbahn Station, Kornmarkt......Kopfsteinpflaster, *keuch* *aua* Hauptstrasse...... 1:48 auf der Uhr
Menschenspalier lauter Anfeuerungen ich beschleunige......nicht überziehen, es sind noch gut 400-500 Meter.
Ohn mann jetzt läuft mir der im Weg rum, lass mich vorbei, zwischen Absperrung und seinem Ellenbogen hüpfe ich durch gebe weiter Gas.
Ich pfeife auf dem letzten Loch. Quuuaaaal. Mädels an der Seite, Arm heben.... hab ich ihn gehoben oder nur gedacht?
KM 21 1:49:xx weiß die Zahl nicht mehr aber zu knapp. 100 Meter in unter ~20-22 Sekunden pack ich jetzt nicht mehr.
Kurve, Uniplatz letzter Antritt, Zielmatte, austrudeln; Uhr stoppen
In die Knie gehen, Laufkumpel begrüßen, Flüssigkeit holen, trinken, etwas erholen, quatschen, etc.
Lange Rede, kurzer Sinn:
1:50:04Platz 835 von 2702 bei den Männern
Shitfuck
10 Sekunden schneller als letztes Jahr aber immer noch über der vermalledeiten 1:50
Ist aber ne neue Bestzeit.
Aber ich war die Vorwoche geschwächt, die Temperaturen eigentlich für mich etwas zu warm/schwül und meinen Laufkumpel könnte ich mit seinem"Wir ham Zeeeiiit" und dem daraus folgenden Stress und endlosem Zickzack im Feld jetzt noch den Hals rumdrehen.
Von dem her gibt es dann doch nichts zu meckern. Außer dass ich mich wahrscheinlich doch mehr hätte quälen können.
Aber das ist im Nachhinein immer leicht zusagen. In dem Moment im Rennen fühlt sich das so an als ob man gleich am Umkippen ist.
Einerseits ärgerlich, andererseits weiß ich dass ich die geplanten 1:48 in völlig erholtem Zustand und ohne den Stress mit dem verpennten Start wohl drauf gehabt hätte.
Schon erstaunlich wie gut ich momentan mein Leistungsvermögen einschätzen kann.
Erstaunlicherweise ging es mir direkt nach dem Lauf dann eigentlich super. Jetzt spüre ich die Beinchen natürlich schon ein wenig aber es hält sich in Grenzen. Oh mann, wenn ich ncoh hätte rechnen können wäre mir das mit den 4 Sekunden nicht passiert.
Aber mein Kopf war leer und ich weiß eigentlich nicht mehr viel von dem was in der Hauptstraße auf den letzten 500 Metern passiert ist.
Dafür muss mein Kumpel mir nachher erst mal zwei Bier ausgeben.