Ziemlich zerrissen lässt mich "Fettsack" und der gute Rex Miller zurück.
Ein durchgeknallter Serienkiller, den Miller sehr distanziert und klinisch zeichnet. Ein Protagonist, bei dem ich mir gewünscht hätte, dass Miller ihn mehr mit seinen eigenen Dämonen hätte kämpfen lassen. Eine Handlung, die mir aufgrund der zahlreichen Rückblenden zunächst wie eine Achterbahnfahrt, später wie das Dümpeln mit einem Holzfass vorkam. Mag sein, dass die immer wieder eingeschobenen Vietnam-Sequenzen wichtig waren, aber sie waren mir letztlich zu ähnlich, nach der zweiten Rückblende konnte ich nichts Neues entdecken und mir kam das wie der Aufguss immer lauer werdenden Füllmaterials vor.
Die Idee, diesen psychopathischen Killer als Kampfmaschine in Vietnam loszulassen, fand ich innovativ und mächtig interessant. Leider widmet Miller diesem Handlungsstrang wenig Aufmerksamkeit. Die "Entstehungsgeschichte" von Daniel „Chaingang“ Bunkowski und sein damit verbundender Leidensweg hat mich auch brennend interessiert, aber auch hier reißt Miller dieses Thema nur oberflächlich an. Die eingestreuten Sequenzen mit den Hundewelpen fand ich rührend. Wahrscheinlich hätte eine tiefere Auseinandersetzung mit Changangs Vergangenheit den Leser mächtig zerrissen, zu viel Verständnis oder Nachvollziehbarkeit für einen psychopathischen Serienkiller fand Miller scheinbar nicht angemessen. Schade.
Sprachlich fand ich das Buch enorm gut, selbst die überwiegend dialogfreie Schreibe stört überhaupt nicht und lässt erahnen, wie talentiert Miller eine dichte Atmosphäre zeichnen kann. Gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass ich Bunkowski riechen und schmecken konnte. Insgesamt kommt mir "Fettsack" ziemlich unfertig vor, sei es, dass es sich um den Debütroman handelt oder viel Material dem Lektorat zum Opfer gefallen ist. 200 bis 300 Seiten mehr hätten dem Buch meiner Meinung nach den Gipfel des Olymps beschert.
Vergleichsweise störend fand ich die sich entwickelnde Beziehung zwischen dem Ermittler Jack Eichord und der Witwe Edie. Erstaunlich, was frau mit Nylonstrümpfen so alles anstellen kann. 8) Aber ich muss zugeben, dass Miller sich hier nicht mal ansatzweise in die Gefahr begibt, kitschig zu werden. Auch hier wahrt er ein gewisse Distanz, widmet sich diesem Thema trotzdem mit einer gewissen Detailverliebtheit, die ich an anderen Stellen im Buch schmerzlich vermisst habe.
Das Ende mutet mir ziemlich überhastet an. Die Bikergang wird auf ner halben Seite niedergemacht, der Showdown wirkt lieblos, wenn auch genial durchgeführt, aber für die Lieferung von Fettsacks Versteck an die Gang verschwendet Miller seitenweise Material. Insgesamt stimmen seine und meine Schwerpunktsetzungen eben nicht überein. Schade, Millers Schreibe liegt mir und das Thema Serienkiller sowieso.
Das übernächste Buch wird "Im Blutrausch" werden, ich bin gespannt. Aber vielleicht hat es ja einen Grund, dass Miller sich überwiegend an Kurzgeschichten versucht hat?
Insgesamt 70 Punkte, wobei da mindestens 5 Sympathiepunkte für das Thema und 10 Sympathiepunkte für die handwerklich gut gestaltete Schreibe drin sind. Ich empfinde das Werk als orientierungslos und weit hinter seinen Möglichkeiten bleibend.