19. August 2010, 20:20, NZZ Online
Volksinitiative für Todesstrafe
in der SchweizVolksinitiative für Todesstrafe
Drastische Sanktion bei «Mord mit sexuellem Missbrauch»
Eine neue Volksinitiative verlangt die Wiedereinführung der Todesstrafe bei «Mord mit sexuellem Missbrauch». Der Text ist noch nicht veröffentlicht. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet die Todesstrafe.
Peter Eggenberger
Ein Initiativkomitee hat vor einem Monat eine Volksinitiative mit dem Titel «Todesstrafe bei Mord mit sexuellem Missbrauch» bei der Bundeskanzlei zur formellen Vorprüfung eingereicht. Laut Marcel Graf, Mitglied des Initiativkomitees, hat die Bundeskanzlei die formelle Vorprüfung vorgenommen. Diese sei positiv ausgefallen. Dies würde bedeuten, dass der Initiativtext demnächst im Bundesblatt veröffentlicht wird und danach mit der Unterschriftensammlung begonnen werden kann. Nach Informationen der NZZ ist diese Aussage korrekt.
Die Diskussionen um die Gültigkeit und die Umsetzbarkeit von Volksinitiativen haben in letzter Zeit zugenommen, besonders im Falle der Verwahrungs-, der Anti-Minarett- und der Ausschaffungsinitiative. Die neue Volksinitiative für die Wiedereinführung der Todesstrafe bei Sexualverbrechen wirft ebenfalls rechtsstaatliche Fragen auf.
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Hinrichtung spätestens drei Monate nach Urteil
Nach dem Willen des Initiativkomitees sollen rechtskräftig verurteilte Täter, die eine Person im Zusammenhang mit einem Sexualdelikt töten, mit dem Tod bestraft werden. Die Hinrichtung müsste laut dem noch nicht veröffentlichen Initiativtext innerhalb von drei Monaten nach dem endgültigen Urteil vollzogen werden. Die Hinrichtungsmethode soll das Gericht festlegen.
Die Schweiz hat die Todesstrafe in Friedenszeiten mit der Einführung des Strafgesetzbuchs 1942 abgeschafft. 1992 wurde die Todesstrafe auch aus dem Militärstrafgesetz gestrichen. In der Bundesverfassung steht ausdrücklich, dass die Todesstrafe verboten ist. Die Schweiz hat zudem die Protokolle Nr. 6 und 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert, mit denen die Todesstrafe in Friedens- und Kriegszeiten abgeschafft wird.
Ahndung extremer Verbrechen
Marcel Graf begründet die Initiative damit, dass dem Staat ein Instrument zur Ahndung extremer Verbrechen zurückgegeben werden müsse. Anlass zur Lancierung der Initiative war ein Kapitalverbrechen aus Grafs Umfeld. Dass die abschreckende Wirkung der Todesstrafe zumindest umstritten ist, weiss Graf. Er ist sich bewusst, dass die Initiative wohl einen schweren Stand haben dürfte.
«Eine solche Initiative wirft erneut die Frage auf, ob es nicht sinnvoll wäre, die Gründe für die Unzulässigkeit einer Volksinitiative und das Verfahren der Prüfung neu festzulegen», sagt Georg Müller, emeritierter Staatsrechtsprofessor der Universität Zürich. Bis heute gibt es vor der Sammlung der Unterschriften keine materielle Prüfung der Zulässigkeit einer Volksinitiative. Wenn das Quorum von 100'000 Unterschriften erreicht wird, muss das Parlament als einzige Instanz über die Gültigkeit entscheiden.
Gegen zwingendes Völkerrecht?
Nach geltendem Recht ist die Verletzung von zwingendem Völkerrecht ein Ungültigkeitsgrund. Dazu zählen etwa das Verbot der Folter, des Genozids, der Sklaverei und der Abschiebung in ein Land, wo den Betroffenen Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Ethnie oder politischen Anschauung droht. Soweit nicht die genannten Garantien betroffen sind, gilt die EMRK in der Regel nicht als zwingendes Völkerrecht. Inwieweit das Verbot der Todesstrafe als zwingendes Völkerrecht zu betrachten ist, ist offen.
Nationalrat Daniel Vischer (gps., Zürich) hat 2007 eine Parlamentarische Initiative eingereicht, welche verlangt, dass eine Volksinitiative dann ungültig ist, wenn sie materiell gegen den Grundrechtsschutz und Verfahrensgarantien des Völkerrechts verstösst. Im März 2009 hat der Nationalrat dieser Initiative zugestimmt. Damit würde der Katalog der Unzulässigkeitsgründe ausgeweitet.
Materielle Vorprüfung fehlt
Staatsrechtler Müller ist der Ansicht, dass die Prüfung der Zulässigkeit einer Volksinitiative «entpolitisiert» werden müsse. Wenn einmal 100'000 Unterschriften gesammelt seien, hätten diese ein derartiges Gewicht, dass eine Ungültigerklärung durch das Parlament sehr schwierig werde. Tatsächlich hat das Parlament bisher erst vier Volksinitiativen für ungültig erklärt.
Müller schlägt vor, die materielle Zulässigkeit einer Volksinitiative vor dem Sammeln der Unterschriften zu prüfen: «Dies könnte die Bundeskanzlei tun, mit der Möglichkeit des Weiterzugs an das Bundesgericht, oder ein von der Bundesverwaltung unabhängiges Gremium von Fachleuten, ebenfalls mit der Möglichkeit des Weiterzugs an das Bundesgericht.»
Denkbar wäre aber auch, wie in der NZZ vom 8.12.2009 vorgeschlagen, eine Prüfung durch eine gemischt zusammengesetzte Kommission im Rahmen einer Art Vermittlungsverfahren.
http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/todesstrafe_volksinitiative_1.7267849.html