Orgasmo (1969)
Umberto Lenzis erster Giallo ist ein „Home Invasion“ Film der etwas anderen Art. Hier ist es Carroll Baker, mit der Lenzi später noch öfters zusammenarbeiten sollte, die als reiche Witwe in die Luxusvilla nach Rom zieht, um nach dem Tod ihres Mannes etwas auszuspannen und nur ihrer Leidenschaft, der Malerei, zu frönen. Plötzlich steht Peter vor der Tür, der mit seinem Wagen liegen geblieben ist. Der junge Typ, der Geld verabscheut, beginnt eine intime Beziehung mit der etwas älteren Frau und nistet sich irgendwann bei Kathryn ein. Als dann plötzlich Eva, Peters Schwester, vor der Tür steht, beginnt eine erotische Dreiecksbeziehung. Doch der Einfluss der Geschwister wird zum Fluch. Die Partys, die Orgien und auch der Alkoholgenuss treibt Kathryn in Abhängigkeit und Wahnsinn. Kein Wunder, denn die fiesen Parasiten unterstützen das Ganze zusätzlich noch mit Drogen, die sie der Witwe heimlich verpassen.
Derweil bemüht sich der Anwalt und Freund der Familie Brion Sanders sich um Kathryn, die jedoch nicht mehr heiraten will. Sie versucht das Erbe schnell abzuwickeln (und überlässt den Tanten den Familienstammsitz in Amerika), um sich wieder auf das lustvolle Leben mit Peter und Eva zu konzentrieren. Doch irgendwann merkt sie, dass da was nicht in Ordnung ist – schwört dem Alkohol ab und will die miesen Geschwister rausschmeißen – doch leider wird sie die nicht mehr los. Denn es gibt kompromittierende Bild von so manchem heißen Spielchen. Doch die Kids wollen kein Geld - nur Kathryn und das süße Leben.
Nun, wieder mal kein Giallo mit Messern, aber eine kleine fiese Tour de Force. Denn wir sind als Zuschauer immer auf Seite von Kathryn, die von den jungen Leuten verführt und ausgenutzt wird. Das machen Lou Castell (Peter) und Colette Descombes (Eva) meisterhaft. Je länger der Film läuft, desto mehr hasst man diese Parasiten. Sie halten die Hausherrin gefangen, setzten die Bediensteten vor die Tür und halten selbst den Anwalt Brion zum Narren. Kathryn muss nachher in ihrem Haus ums eigene Überleben kämpfen.
Am Anfang hatte auch ich den Glauben, den Verlauf vorher zu sehen, war jedoch am Schluss doch etwas überrascht. Klar, kann man sich denken, wo die Reise hingeht und das hinter dem böswilligen Verhalten von Peter und Eva mehr stecken muss, doch natürlich kommt auch hier die Auflösung mit doppeltem Boden daher. Der Soundtrack ist 60s typisch und komponiert, denn die Musikstücke der modernen Popkultur sind natürlich nicht zu hören (die Plattencover werden demonstrativ ins Bild gerückt – allerdings werden die Interpreten nicht gespielt). Hervorzuheben ist auch Carroll Baker, die es schafft, die Witwe bei ihrer Talfahrt perfekt zu skizzieren. Auch das Makeup tut einiges dazu, denn je mehr sie dem Alkohol verfällt, desto blasser ist sie geschminkt (auch die Lippen sind blass und die Augen bekommen dunkle Ränder). Das Ende des Films kommt (teils) überraschend und auch zynisch daher. Hübsch gelöst, aber deprimierend auch für den Zuschauer. Egal – Lenzis Einstand im Giallo ist empfehlenswert, auch wenn der Film sind am Anfang etwas zieht.
Der Titel „Orgasmo“ war den Amis zu obszön, weshalb er in USA „Paranoia“ getauft wurde. Leider hat Lenzi später selbst einen Film mit dem Titel gedreht, also nicht verwechseln.
Leider ist der Film nicht auf Deutsch erschienen, war aber Teil der „Lenzi/Baker Giallo Collection“ von Severin, die 2020 erschienen ist. Hier ist der Film auch als „Director‘s Cut“ enthalten, der etwas mehr nackte Tatsachen der Hauptdarstellerin offenbart. Auch die eine oder andere Handlungsszene ist darunter – erkennbar an den italienischen Dialogen, die in der Ursprungsfassung gefehlt haben. Die Box, mit drei weiteren Lenzi Gialli, sowie zwei Soundtrack-CDs, ist leider wohl oop und nicht mehr zu bekommen.
Hier der Trailer des Films: