Arnd Zeigler über WM-Touristen - Knopfdruckstimmung
Weltmeisterschaften bringen spätestens seit 2006 nicht nur Fußball auf die Bildschirme, sondern auch bunt angemalte Menschen mit seltsamen Kopfbedeckungen auf die Straßen. Arnd Zeigler empört sich. Ein bisschen.
Arnd Zeigler über WM-Touristen - Knopfdruckstimmung
Nun bin ich mal gespannt, wie sich das sogenannte WM-Fieber weiter entwickeln wird. Anders als vor vier Jahren wurde es diesmal beschlossen und quasi per Knopfdruck angeknipst: »So, nun wieder Fieber. Wie 2006.« Das ist eines der großen atmosphärischen Probleme dieser WM: Es entsteht keine authentische Stimmung mehr. Wir sehen keine Stadien voller Fans, sondern Stadien voller Touristen. Bei den Bildern von den Tribünen sehne ich mich manchmal nach einem normalen Menschen, der normal aussieht, vielleicht eine schlichte Jacke trägt und den Anschein macht, er wolle dort unten einfach nur ein Fußballspiel anschauen.
Ich bekomme stattdessen: Menschen mit angemalten Gesichtern, Plastiktröten und bunten Perücken, deren Lebenshöhepunkt nach dem Eingeblendetwerden auf der Videowand erkennbar hinter ihnen liegt.
Mittlerweile wird Stimmung nur noch reproduziert und dann punktgenau abgerufen, wenn beispielsweise ein Fernsehsender zu einer »Public-Viewing-Party« hinüberschaltet. Wir sehen auf dem Monitor im Hintergrund tumb vor sich hin stierende Menschen, solange der Moderator im Studio noch redet. Gibt er aber rüber zum Reporter vor Ort, geht – Schnipp! – das Gegröle los, und die Menschen mit den Gesichts-Tattoos, die sie möglicherweise aus den Sechserpackungen eines probiotischen Joghurtgetränks haben, drehen völlig enthemmt durch. Bis der Reporter (»Man kann hier wirklich sein eigenes Wort nicht mehr verstehen, es ist un-glaub-lich!«) ins Studio zurückgibt. Danach wird wieder vor sich hingestiert, vermutlich.
Menschen, die zur WM Fan spielen
Uns ist jegliche Verhältnismäßigkeit abhandengekommen. Und zwar, weil sich ein Großteil der in Medien sichtbaren WM-Fans aus Menschen rekrutiert, die genau genommen Fan spielen. Sie kleiden sich, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Sie eignen sich fanspezifische Verhaltensweisen an. Sie lassen die Sau raus. Das ginge auch auf dem Oktoberfest, auf Mallorca oder beim Jahreswechsel, aber nun ist halt gerade WM. Letzte Woche gab es in meiner Straße gar den schüchternen Versuch eines Autokorsos. Nach einem 1:0 gegen Ghana im dritten Gruppenspiel! Hallo?! Was machen solche Menschen im übrigen Leben, wenn, sagen wir, die Fußgängerampel endlich grün wird? Einen Klinsmann-Diver?
Das Produkt WM hat hart und erfolgreich an seiner Austauschbarkeit gearbeitet. Seit der WM 2006 kennen wir den Begriff »Ticketing« und wissen, dass der Besitz eines WM-Tickets unbedingt erstrebenswert ist, glücklich macht, und wahrscheinlich auch glattere Haut. Einer meiner Kollegen hatte damals mehrere Tage lang damit angegeben, WM-Tickets ergattert zu haben, ehe wir durch Zufall herausfanden, dass es Tickets für das Spiel Ukraine gegen Saudi-Arabien waren.
Quelle: http://www.11freunde.de/bundesligen/131034
Vielleicht verstehen dann einige hier meine Gründe besser, warum ich mit dem ganzen Schland-Kram nichts mehr anfangen kann.
Kennt Ihr eigentlich Arnd Zeidler ?
Ich lese seine Kolumne und Bericht in dem Magazin "11 Freunde" sehr gerne, auch seine TV Show "Zeiglers wunderbare Welt des Fussballs" finde ich auch klasse.
Die in diesem Artikel beschriebenen Zustände sind zwar überspitzt und sarkastisch dargestellt, aber im Grunde sind sie doch richtig. Viele Leute werden alle 4 Jahre zu Fussballfans, davor und danach fiebern sie weder mit einem bestimmten Verein mit, noch interessieren sie sich generell für Fussball. Bei der Nationalmannschaft kann ich dass noch irgendwo verstehen, aber gibt es dieses Phänomen nicht auch bei Vereinen ? Nehmen wir als Beispiel mal den FC St. Pauli.
Die steigen von der dritten in die zweite Liga auf und es kommen knapp 40.000 Menschen um zu feiern. In unser Stadion passen normalerweise 20.000 Leute, und obwohl wir in der dritten Liga einen Schnitt von über 15.000 Besuchern hatten, waren immer noch ein paar Plätze frei. Wo waren die restlichen 25.000 denn da ?
Wir steigen drei Jahre später in die erste Liga auf, und es kommen 80.000 Menschen zum feiern.
Ich will damit sagen, dass es überall dieses Phänomen des sogenannten "Schönwetter-Fans" gibt. Es ist einfach chic, wenn St. Pauli in der ersten Liga spielt, zum feiern zu gehen und sich ein Totenkopf T-Shirt zu kaufen.
Genauso ist es zu Zeiten der WM für viele Leute, sich Deutschland Fahnen ans Auto zu binden und auf Fan Festen abzufeiern.
Das Problem mit den Tickets, dass angesprochen wird, sehe ich übrigens genauso. Es sind kaum noch wirkliche Fans in den Stadien, die ihr Herzblut für die Nationalmannschaft geben, zu Auswärtsspielen nach Island fliegen oder ihren Jahresurlaub nach dem Spielplan legen. In den Stadien ( die fast alle nicht ausverkauft waren, obwohl die FIFA rumtönt, sie hätten alle Tickets abgesetzt ) sitzen Funktionäre, Spielerfrauen und Sponsoren. Diesen Unmut kann ich absolut nachvollziehen, denn in den Stadien der Bundesligen nimmt diese Entwicklung auch immer mehr zu.
Ich war beim letzten Spiel der NAtionalmannschaft vor der WM im Stadion in Hamburg. Da konnte man von unserem Platz sehr schön sehen, wie die entsprechenden Leute in ihren Logen sitzen um auf den Plasma Bildschirmen sich das Spiel anschauen, obwohl sie nur 5 Meter auf den Balkon gehen müssten, um dass Spiel "Live im Stadion" zu sehen. Und sowas sind für mich keine Fans.
Arnd Zeigler ist ein Fussball - Fan, ähnlich wie ich, der seinem Verein ewige Treue geschworen hat, egal in welcher Liga sie spielen oder welchen Platz sie gerade in der Tabelle haben. Und wenn man sich aus dieser Perspektive die Entwicklung der allgemeinen Fan Kultur im Fussball anschaut, kann ich seinen bissigen Kommentar absolut nachvollziehen.
Und wie bereits gesagt, bei der Nationalmannschaft stört es mich weniger bis gar nicht ( ich hab mich halt dran gewöhnt, dass alle 4 Jahre viele Leute für vier Wochen zu Fussball Fans mutieren ), aber bei den Vereinen ist eine ähnliche Entwicklung bereits im Gange, und dass finde ich auch nicht gut.