...diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man das Städtchen Graves End besucht. Den Eindruck bekommt auch der Zuschauer, wenn er zum ersten mal das Städtchen sieht. Etwas komisch allerdings wird dem horror-geprüften Filmeschauer, wenn er die Einwohnerzahl am Ortsschild liest: Triple 6. Das kennen wir doch woher? Aber woher bloß?
Bevor wir noch drüber nachgrübeln und versuchen, das ungute Gefühl in der Magengegend loszuwerden, begrüßt uns Maudy, die Inhaberin der örtlichen Tankstelle - eine kleine, dicke Amerikanerin mit tiefstem texanischem Akzent und so freundlich, dass es bald schon wieder weh tut. Wenn man dann noch ein klein wenig gut ausschaut, jedenfalls gut genug, dass sie einen als attraktiven Mann bezeichnet, frisst sie einem aus der Hand und man wird von ihrer Freundlichkeit schier erdrückt.
Man könnte den Aufenthalt in Graves End genießen - man könnte sogar dort Wurzeln schlagen wollen, wenn... ja, wenn man kein Vergewaltiger, Mörder, Psychopath, Killer, Kinderschänder, Räuber oder sonst ein gräulicher Verbrecher ist, der von laschen Gerichten zu noch lascheren Strafen verurteilt oder viel zu früh aus dem Knast entlassen wurde. Denn wenn man zu dieser Kategorie Menschen gehört, sollte man die freundlichen Menschen von Graves End besser meiden - sonst macht der Ort nämlich seinem Namen alle Ehre...
Also, um es gleich vorweg zu sagen - wir haben es hier weniger mit einem Horrorfilm, als mit einem Thriller mit allerlei überraschenden Wendungen und etwas Gore zu tun. Man darf allerdings bei Weitem kein Splatterfest erwarten. Klar, ein amerikanischer Thriller, wie man ihn schon zu Dutzenden gesehen hat, aber er gewinnt der banalen Hintergrundgeschichte einer Kindesentführung viele Überraschungen ab und Wendungen, mit denen der Zuschauer keinesfalls rechnet. Die Darsteller sind allesamt gut, allen voran Eric Roberts, der hier zur Abwechslung mal wieder den Guten spielen darf. Ein Filmchen, das wirklich zu unterhalten weiß, vor allem in der englischen Originalfassung, denn Maudy mit ihrem Texas-Geschnattere ist wirklich super drauf. Vor allem, wenn sie nicht kriegt, was sie will, die liebeshungrige kleine dicke Rose von Texas. Wie sagt sie doch zu dem Mann, der in ihrem Motel ein Zimmer mieten will: "Ich geb's Ihnen einen Zehner billiger, mein Schöner, und Sie dürfen mit mir zu Abend essen..."; Darauf er: "Ich fürchte, ich muss Ihnen einen Korb geben, Maudy, und zahle voll." Darauf Maudy: "Okay, das sind dann Fünfzig Dollar die Nacht, weil Sie solch ein Arschloch sind..." Wie gesagt, die Menschen in Graves End sind wirklich sehr freundlich. Und als ein Vergewaltiger die Stadt besucht, begrüßt ihn Maudy mit den Worten: "Oh, Sie werden sich hier wohl fühlen. In Graves End wissen wir, wie wir mit bösen Menschen umgehen müssen..." Mir hat dieser Film Spaß gemacht.
Allein die Thematik, nämlich wie man mit Mördern und Sexualstraftätern umgehen soll, wenn sie durch die Maschen des Gesetztes geschlüpft sind und sich ihrer gerechten (was ist schon gerecht?) Strafe entzogen haben, macht diesen Streifen zu einem kontroversen "B" Picture. Die Antwort, die dieser Film auf die Frage gibt, sollte auch in unserem Lande einigen Leuten zu denken geben.
Na ja, man kann es sehen, wie man will. Ich jedenfalls mag Amerika. Ich mag Graves End und seine netten, freundlichen Menschen. Und ich mag diesen Film.
Der Lonewolf Pete