Die Marburg Award Siegerstory von Markus K. Korb "Joann

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Hallo Freunde,

nachdem sich einige für meine Siegerstory des diesjährigen Marburg Awards interessieren, möchte ich sie euch nicht vorenthalten. Hier ist sie...viel Spaß beim Lesen!

Es würde mich freuen, wenn sich einige dazu entschließen könnten, mir ihre Meinungen zu der Story mitzuteilen. Danke schon im voraus.

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Sorry für die Werbeunterbrechung.


Markus K. Korb

Joanna

Der Tag, an welchem Joanna die dunkle Seite der Wirklichkeit kennenlernen sollte, endete mit einem Schneesturm. Der Herbstwind peitschte die Flocken über die Wellen des Meeres dahin, so dass man glauben mochte, der Schnee käme aus einem fernen Land von jenseits des Ozeans herübergeweht.  Er verwirbelte zu groben Schlieren, tanzte über den knochenbleichen Strand und schlug gegen die Fensterscheiben des in die Dünung geduckten Landhauses, worin das kleine Mädchen auf dem Fenstersims kniete, beide Hände gegen das Glas gepresst. Mit großen Augen starrte Joanna auf den schneedurchwobenen Tag dort draußen vor dem Landhaus ihrer Familie.
Wann kommt Vater endlich nach Hause? Er hat mir doch versprochen, dass er heute an meinem Geburtstag nicht zu spät kommt!
Joanna durfte nicht nach draußen, um im Schnee zu spielen wie andere Kinder. Schnee und Regen sind schlecht für die Haut, pflegte ihre Mutter zu sagen.
Sie hörte den mechanischen Herzschlag aus dem verfinsterten Zimmer hinter ihr.
Das Mädchen sah zur Standuhr, deren Pendel mit bedächtigen Schwüngen sowohl die Luft als auch die Zeit durchschnitt. Ein leises Knacken ertönte jedesmal, wenn der Eisenstange der Schwung ausging und sie wieder in die andere Richtung pendelte. Dieses Geräusch führte dazu, dass sich Joanna vorstellte, auf der Innenseiten des hölzernen Uhrkastens würden Käfer umherkriechen, deren schwarzglänzende Körper von dem Pendeldiskuss mit einem Knacken zerquetscht würden. Joanna schüttelte sich vor Ekel.
Das Ziffernblatt stellte mit seinen Eisenzeigern ein schnauzbärtiges Gesicht dar. Unnatürlich bleich schimmerte es aus der Höhe im dunklen Hintergrund des Zimmers herab. Es war aus Schildpatt gefertigt. Grobe Fischgräten dienten als Zahlen. Durchscheinend, fast unsichtbar. Ein durch die Jahre nicht verdunsteter Fischgeruch schien permanent in der Ecke des Raumes zu hängen, wo die Uhr sich befand.
Joanna erinnerte die Uhr an ihren Vater. Wie er wirkte auch die Standuhr wie aus einer anderen Welt, wo die Menschen alle merkwürdig steif und hochgewachsen wie bizarre mechanisch-hölzerne Uhrwerke waren, die ein trickreicher Erfinder zum Leben erweckt hatte. Joanna wusste nicht, wo ihr Vater arbeitete, aber die Aura, die ihn umwolkte, sobald er abends zur Tür hereinkam, weckte Bilder voller düsterer Farben in ihr: Fabrikhallen, durch deren verschmutzte Deckenfenster kaum genug Licht hereinfiel, um den öligen Boden aus den Klauen der Finsternis zu reißen. Eine Atmosphäre angefüllt mir stickiger Luft, die nach menschlichem Schweiß roch. Über allem thronte ihr Vater. Joanna sah ihn auf einem eisernen Balkon stehen und hinabblicken in den maschinengefüllten Dschungel, wo hier und dort Dampfwolken aufstiegen und ihm sekundenlang die Sicht nahmen. Menschliche Maden mit nackten Oberkörpern liefen geschäftig dort unten in der grauen Tiefe umher, schichteten Waren auf, oder bedienten Maschinen, die von schnurrenden Laufbändern angetrieben wurden, welche sich quer über die gesamte Länge der Halle spannten.
Warum diese Bilder einer Fabrikanlage wie Erinnerungsfetzen in Joanna aufstiegen, wusste sie nicht zu sagen. Sie stiegen in Momenten des morgendlichen Erwachens in ihr auf, blieben eine Weile und verblassten zusehends. Noch ehe sie die Augen aufschlug, waren sie verschwunden.
Ihr Vater redete nie über seine Arbeit. Oft war er monatelang unterwegs. Die Mutter sagte dann immer: ”Vater ist auf Geschäftsreise weit im Osten. Dort, wo die Menschen unter einer sengenden Sonne in langen Gewändern umherlaufen und bärtige Männer in Kaffeehäusern zusammensitzen und gemeinsam aus einer großen Wasserpfeiffe rauchen.”
Joanna erinnerte sich an die Zeichnung einer derartigen Szene. Sie stammte aus einem Buch, das ihr Vater der Mutter mitgebracht hatte und aus dem diese ihrer Tochter manchmal vorlas. Die Wasserpfeife auf dem brüchigen Papier sah aus wie einer der Tintenfische, die einst in einer Sturmnacht an den Strand vor dem Landhaus geschwemmt worden waren. Joanna entdeckte sie am Morgen beim Spielen am Meeressaum. Sie lagen an der hauchdünnen Linie, wo die Brandung auf den Strand ausläuft. Ihre Haut schimmerte bläulich. Das Meer hatte sie noch nicht gänzlich aus seinem Griff entlassen und spielte mit ihren Fangarmen. Joanna bedauerte diese Kreaturen der See, welche ihrem Element entrissen waren und nun als marionettenhafte Spielzeuge zu Dutzenden am Strand zappelten. Das kleine Mädchen versuchte soviele als möglich zu retten, nahm ihre kalten Körper, ergriff auch diese glitschigen vielarmigen Schlingen, die noch zuckten und warf sie in hohem Bogen zurück ins Meer. Doch das Meer nahm sie nicht wieder auf. Alles, was es einmal ausgespien hatte, wollte es nicht mehr zurückhaben. Die Tintenfische wurden erneut an Land geschwemmt. Joanna war heulend am Strand entlanggelaufen, ihre Sissyphusarbeit nicht unterbrechend. Umsonst. Seit jenen Tagen zweifelte sie daran, dass man in den Lauf des Schicksals eingreifen könne.
Nun aber stellte sich das kleine Mädchen vor, wie ihr Vater durch die menschenvollen Straßen einer östlichen Stadt schritt, die von pflanzenbewachsenen Baldachins überdeckt waren und stets im Zwielicht lagen. Die Luft war erfüllt von fremdartigen Gerüchen. Es roch nach Gewürzen und merkwürdigem Obst, das die Verkäufer an den Straßenecken feilboten. Er redete mit Männern, die in den Eingängen der Geschäfte saßen, welche eher wie Höhlen wirkten, nur von Öllichtern spärlich erhellt.
Dort im kargen Licht und unter den wachsamen Augen des orientalischen Händlers wickelte der Vater seine Geschäfte ab, bei denen es stets um handgefertigte Spielzeuge ging, wie Joanna annahm. Fremdartige Dinge, bizarr, und deshalb umso begehrter von den Kunden in Europa. Und wenn er heimkehrte, hatte er stets eine kleine Überraschung für seine Tochter dabei.
Joanna war entzückt von dem, was ihr Vater aus dem Osten mitbrachte. In ihrem Zimmer standen die funkelnden Spielsachen aus den fernen Ländern, fein säuberlich aufgereiht im Hängeregal über Joannas Bett. Da glitzerte ein polierter und mit Wachs übergossener Holzwürfel, der mit arabesken Mustern verziert war. Seine Seiten waren drehbar, Joanna konnte sie sogar verschieben und in den Kubus drücken, wo sie absonderlicherweise auf der anderen Seite nicht wieder hervortraten. Der Würfel besaß geheime Klappen und Fächer, welche nur durch eine Abfolge des Schiebens und Ziehens der Holzverschläge zu entdecken waren.
Neben dem Kubus drehte sich eine miniaturisierte Frauengestalt auf einem winzigen Podest. Eine lustige Melodie ertönte daraus, wenn man an einer Schnur zog, die aus einem Loch im Holzboden herausragte. Joanna liebte die anmutige Figur, welche auf der Zehenspitze zu balancieren schien und dennoch lediglich auf der sich drehenden Kreisplatte festgeklebt war. Das Gesicht der mechanischen Ballerina erinnerte Joanna an ihre Mutter.
Im Hintergrund saß die Mutter im hohen Lehnstuhl, nahe beim Kaminfeuer. Der unstete Lichtschein fiel über die rechte Hälfte ihres Gesichts, während die andere im Dunkeln blieb. Joanna erinnerte der Anblick an die zwei Charaktere, die in Mutter verborgen waren.
Die Mutter las in einem Buch, was Joanna beruhigend fand, denn manchmal war Mutter launisch. Ihre zwiespältige Natur offenbarte sich ohne Vorzeichen. Grundlos verwandelte sich ihr zartes Wesen in das einer Bestie. Sie rannte dann mit wild flatternden Haaren wie von Furien gehetzt durch das Haus, schrie die Bediensteten an und suchte überall nach einem Grund zu zetern und mit den Angestellten zu streiten.
In solchen Momenten verkroch sich Joanna tief in den Eingeweiden des Hauses, wo ihr Versteck war. Dort war es warm und sie fühlte sich sicher vor dem Zugriff ihrer Mutter. Ihre Zuflucht war nichts anderes als der dunkle Winkel unter der Treppe. Hier in der Finsternis lag Joanna oftmals stundenlang und wartete, eng an die Heizungsrohre an der Wand gedrückt, auf das Ende der mysteriösen Wutanfälle, die ihre Mutter grundlos heimsuchten. Wenn die Bediensteten aufgehört hatten wie aufgescheuchte Tiere treppauf und treppab zu rennen, wenn die Schreie der Mutter verhallt waren und wieder Ruhe in das Haus eingezogen war, kroch Joanna unter der Treppe hervor. Sie klopfte sich den Staub von den Kleidern, zupfte sich die Spinnweben aus dem Haar und schlich sich zur Mutter, die meist erschöpft im Lehnstuhl saß, die Haare in wirren Strähnen im Gesicht. Es sah bleich aus, die Augen waren ins Leere gerichtete Glasmurmeln. Würde sich nicht ihre Brust unter dem weißen Spitzenkleid heben und senken, Joanna würde ihre Mutter für eine Tote halten, oder für eine lebensgroße Puppe, welche der Vater aus den fernen Ländern mitgebracht haben mochte und deren Uhrwerk abgelaufen war. Doch geradeso als sprängen die Zahnräder wieder an, richtete sich die Mutter bald wieder auf. Langsam, bedächtig, wie an unsichtbaren Fäden gezogen. In solchen Momenten fürchtete sich Joanna am meisten, denn dann sah die Mutter am unwirklichsten aus.
Joanna betrachtete das zweigeteilte Gesicht der Mutter. Nichts deutete auf einen bevorstehenden Anfall hin, aber die Ruhe konnte trügerisch sein, wie das Mädchen wusste. Joanna wandte ihren Blick wieder hinaus in das Schneetreiben.
Hinter den umgedrehten Fischerbooten, welche wie auf den Rücken gedrehte Riesenkrabben aussahen, gewahrte das Mädchen die verwirbelten Umrisse einer dunklen Gestalt, welche sich vornübergebeugt durch das Schneegestöber kämpfte. Der Schemen kam näher und sie erkannte in ihm den Vater, dem der Wind die durchnässten Haare ins Gesicht klatschte, wo sie an der Stirn kleben blieben. Der lange Mantel flatterte um die hohe Gestalt, so dass sie wie ein Rabe wirkte, der die angelegten Flügel erzittern ließ. Auf dem Rücken trug der Vater einen Seesack.
“Er ist da!” jubelte Joanna und sprang vom Fenstersims. Sie rannte über den arabischen Teppich und an der Mutter vorbei, welche den Kopf hob und zum Fenster hinausblickte. Mit einem Seufzen stand sie auf und folgte ihrer Tochter, die sich schon im Vestibül befand, ungeduldig auf den kleinen Zehen wippend und die Haustür erwartungsvoll betrachtend.
Ein Knacken verriet, dass das Schloss aufgesperrt wurde und sogleich drehte sich die Tür in den Angeln. Das Tosen des Windes wurde lauter, Schnee trieb herein, dann wurde die Tür an die Wand geschleudert und Joanna blickte auf die dunkle Gestalt, welche hochaufgerichtet in der Tür stand.
Der Vater sah auf seine Tochter herab und lächelte. Dann kniete er sich nieder, warf den Seesack in die Ecke und breitete ungeachtet der hereinwirbelnden Eiskristalle die Arme aus. Joanna lachte und warf sich ihrem Vater entgegen, der sie auffing und an sich drückte. Das Mädchen fest an sich gepresst richtete er sich auf und drehte sich lachend im Kreis, wobei Joanna glücklich aufschrie. Dann setzte er das Mädchen wieder ab und schloss die Tür. Erst dann nickte er seiner Frau zu, die schon vor einiger Zeit hinter Joanna getreten war und die Szene mit stoischer Miene betrachtet hatte.
“Hallo Joanna, hallo Berenice! Schön, euch wiederzusehen!”
Joanna musste den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht sehen zu können. Es wirkte ausgezehrt und starr. Doch als er nach unten blickte, hellte es sich auf und ein Lächeln umspielte seine Lippen, so dass sein Schnauzbart lustig zuckte.
“Na, meine Kleine – warst du artig während ich weg war?”
Joanna nickte und er streichelte über ihren blonden Schopf. Sogleich wurde sein Blick ernst und er wandte sich an die Mutter.
“Irgendwelche besonderen Vorkommnisse in der Zwischenzeit?”
Die Mutter faltete die Hände vor dem Schoß und erstattete ihrem Gatten Bericht.
“Nein. Alles läuft perfekt. Aber die Arbeiter in der Fabrik wollen mehr Lohn und niedrigere Arbeitszeiten. Sie fordern es lautstark, während sie durch die Stadt laufen, wie mir die Dienstboten berichten.”
Vater erbleichte.
“Undankbares Gesindel – da holt man sie von der Straße, und dann beißen sie die Hand, die sie füttert! Es wird Zeit, dass ich mich wieder um die hiesigen Geschäfte kümmere.”
“Jetzt komm zunächst in die Stube und wärme dich auf. Du bist sicher ganz erfroren von dem Weg vom Hafen hierher”, sprach die Mutter und drehte sich um. Mit einem Rascheln ihres Spitzenkleides war sie verschwunden.
Der Vater sah ihr nachdenklich hinterher und meinte dann zu Joanna:
“Ist bei dir alles in Ordnung?”
“Ja, Papa.”
“War Mutter auch immer gut zu dir?”
“Ja, Papa.”
“Fein. Dann wollen wir mal reingehen und nachsehen, was ich dir zu deinem Geburtstag mitgebracht habe.”
Joanna sprang übermütig am Mantel des Vaters in die Höhe, der ihn ausgezogen hatte und sich eben anschickte das Kleidungsstück an den Haken neben der Tür zu hängen. Der Mann lachte leise und packte den Seesack, den er sich abermals über die Schulter warf. Joannas Vater trat in die Stube, dicht gefolgt von seiner Tochter.
Die Mutter saß wieder im Lehnsessel und hielt den Blick auf das Buch gesenkt. Der Vater beachtete sie nicht weiter, sondern ließ sich vor dem Kamin im Schneidersitz nieder. Der mit Schneeflocken bedeckte Seesack plumpste hinter der Teppichgrenze auf die Holzdielen und bald breitete sich eine kleine Pfütze aus, da der Schnee schmolz und als Wasser zu Boden rann.
Joanna setzte sich ihrem Vater gegenüber auf die Holzdielen und sah ihn neugierig an. In ihren Augen spiegelte sich das Kaminfeuer. Es hüllte die beiden wie in eine wärmende Glocke aus Licht. Joanna kam es vor, als wären sie allein im Zimmer.
Nachdenklich betrachteten die dunklen Augen des Vaters seine Tochter. Die Ähnlichkeit von Joanna mit der Mutter erzeugte einen wehmütigen Schmerz in der Brust des Vaters, wie wenn man an einen lieben Verstorbenen denkt. Er verdrängte die trüben Gedanken und griff in den Seesack. Joanna rückte näher an ihren Vater heran.
“Was hast du mir mitgebracht?”
Er lächelte.
“Hier in diesem Sack sind viele Spielzeuge aus den Ländern fern im Osten, aber nur eines ist für dich bestimmt. Die anderen werde ich in die Fabrik mitnehmen, damit meine Arbeiter sie zerlegen und nachbauen können, damit ich den anderen Spielzeugherstellern wieder mal einen Schritt voraus bin und eine neue Reihe von Kinderfreuden auf den Markt bringen kann!”
“Sag mal, Papa”, meinte Joanna nachdenklich, während ihr Vater im Seesack kramte, um das besagte Geschenk zu finden. “Ist der Händler im Osten nicht böse, weil du seine Spielzeuge nachmachst?”
Der Vater sah nicht auf. “Mein Liebes. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gerissen der ist. Es war meine dritte Reise und obwohl ich den Grund meines Interesses niemals genannt hatte, erriet er ihn diesmal. Er war fürchterlich böse auf mich, aber er braucht das Geld, das ich ihm für seine Erfindungen gebe. Merkwürdig war allerdings, dass er bei meinen letzten Besuchen die Spielzeuge erst bauen musste, sie nun aber schon vorrätig hatte. Aber das ist letztendlich egal – ich habe alles bekommen, was ich wollte. Sieh her!”
Mit diesen Worten zog er eine reich verzierte Schachtel aus der dunklen Öffnung des Seesacks und hielt sie in seinen Händen fest. Das Kistchen erinnerte Joanna an ihren Kubus, der im Zimmer stand. Sowohl die Ausmaße stimmten, als auch die Verzierungen. Letztere waren allerdings etwas anders als bei Joannas Holzwürfel. Die Schriftzeichen wiesen scharfe Dornen und Zacken an den Enden der Buchstaben auf, was Joanna an Spieße erinnerte und das Mädchen ein klein wenig schaudern machte.
An einer Seite der Schachtel ragte ein Schlüssel heraus. Diesen drehte der Vater ein paar Mal, dann reichte er die Kiste an seine Tochter. Sie nahm das Spielzeug in ihre kleinen Hände und drehte es, um seine Funktion zu erraten. Unschlüssig horchte sie auf das Surren des vom Schlüssel in Gang gesetzten Mechanismus.
“Was ist es?”
“Warte nur ab!” Der Vater verschränkte die Arme vor der Brust und setzte sich aufrecht hin. Joanna brachte ihr Gesicht nahe an den Kistendeckel, wollte ihn mit den Fingern anheben, aber er widersetzte sich ihren Bemühungen.
Mit einem Krachen sprang der Deckel auf und ein unförmiges Etwas schoss auf Joanna zu, die das Kistchen erschrocken fallen ließ und nach hinten ruckte, wobei sie einen spitzen Schrei ausstieß. Ihr Oberkörper stützte sich auf die nach hinten gestreckten Arme, so dass Joanna eine größtmögliche Distanz zwischen ihrem Kopf und dem Ding brachte, das aus dem Kästchen gesprungen war. Ihr Gesicht war in Erwartung eines Aufpralls zur Seite weggedreht, die Augen zu Schlitzen verengt. Auf Joannas Gesichtszügen konnte man den Ausdruck des Abscheus und Schreckens deutlich erkennen.
Doch der erwartete Angriff kam nicht. Joanna wagte es, ein Auge zu öffnen und vorsichtig in die Richtung des Kistchens zu blicken. Sie vermied es direkt auf die Stelle zu sehen, wo das Kistchen lag, denn dort wackelte etwas Abscheuliches hin und her, das in Fetzen zu hängen schien. Es kicherte leise und monoton vor sich hin. Doch da erscholl das laute Lachen ihres Vaters, das die Geräusche des Kästchens übertönte und Joanna zuckte zum zweiten Mal zusammen.
“Na, hast dich wohl vor Jack erschreckt?”
Das war eine Feststellung, keine Frage. Joanna sah ihn verärgert an. Sie konnte es nicht leiden, wenn sich ihr Vater über sie lustig machte.
“Nun sei nicht verärgert, meine Kleine. Das ist alles nur ein Spaß! Schau ihn dir nur an!”
Joanna blickte mit düsterem Gesicht hinüber zum Kästchen, wo das Etwas noch immer auf- und abhüpfte und dabei kicherte. Es handelte sich dabei um einen Kopf, ungefähr so groß wie der eines Babys, aber von schwarzvioletter Farbe wie die Gesichter von Gehängten. Er sah dennoch eher komisch, denn zum Fürchten aus: eine mächtige Hakennase hing dem Spielkopf aus dem Gesicht und ein breites, unveränderliches Lachen teilte seine Lippen - auf ewig festgefrorene Fröhlichkeit, welche die weißbemalten Zähne entblößte. Auf dem Schädeldach waren bleiche Fransen festgeklebt, die wohl Haare darstellen sollte, wie Joanna dachte. Wie flüssige Spinnweben flappten sie über die beiden übergroßen Segelfliegerohren. Zwei künstliche Arme, unter dem Kopf angebracht, schlackerten bei jedem Wippen hoch und runter. Eine starke Sprungfeder spannte und dehnte sich im Wechsel.
Zögerlich nahm Joanna den Springteufel mitsamt Kiste hoch und drehte ihn in ihren kleinen Händen. Dabei fielen ihr die winzigen, linienförmigen Risse auf, die in den aus Holz geschnitzten Händen und dem gleichartigen Gesicht der Puppe klafften, ein jeder nur wenige Millimeter lang und ebenso breit.
„Was ist das?“ Joanna deutete auf die Rissstruktur und reichte den Springteufel ihrem Vater. Dieser nahm das Spielzeug in die Hände und betrachtete es nachdenklich.
„Dieser Gauner von einem Spielzeughändler!“ fluchte er. „Da hat er mir drittklassige Ware angedreht! Mach dir nichts draus, meine Kleine. Wenn er dir nicht gefällt, nehme ich ihn wieder mit und du kannst dir etwas anderes aussuchen.“
Joanna griff nach dem Springteufel und klappte den Deckel zu. Sie drehte den Schlüssel ein paar Mal und wartete, bis das dämonische Gesicht erneut mit mechanischem Gelächter aus der Kiste hochsprang. Joanna erschrak nur noch ein wenig. Nun aber lachte auch sie.
„Nein, nein, Papa. Lass ihn mir. Ich mag es, wenn ich erschreckt werde.“ Joanna grinste. „Aber nur ein bisschen, so wie mit dem Springteufel: ich weiß zwar, dass er erscheint, aber ich weiß nicht genau, wann das geschieht. Das ist lustig!“
Der Vater lächelte milde.
„Dann ist es ja gut. Aber eine Sache muss ich dir noch sagen. Es klingt merkwürdig, aber der Händler meinte zu mir, dass man den Springteufel niemals nach Mitternacht aufziehen dürfe!“
„Wieso das?“
Der Vater zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht genau, er hat mir lediglich gesagt, dass der Springteufel einen Herzenswunsch erfülle, aber stets auf unangenehme Weise. Ich habe nicht weiter nachgefragt, weil ich es für einen arabischen Aberglauben halte – völliger Unsinn, also.“
„Aber dennoch hast du es mir gesagt. Warum? Willst du mir Angst machen?“ Joannas Augen weiteten sich ein wenig. Der Vater zwinkerte ihr zu.
„Vielleicht ein wenig, ja. Aber vielleicht will ich auch nur, dass du nicht noch spät in der Nacht dich mit deinen Spielzeugen beschäftigst.“
Joanna verdrehte die Augen.
„Aber Papa, da muss ich doch schlafen.“ Sie konnte ein Grinsen nicht ganz verbergen. Dies entging auch ihrem Vater nicht. Er hob den Zeigefinger und brummte:
„Neinnein!“
Dann lachte er und Joanna warf sich ihm in die Arme.
„Danke, Papa. Das ist ein schönes Geschenk!“
„Keine Ursache.“ sagte der Vater und streichelte Joanna über die Haare. „Und nun – ab ins Bett!“
Joanna nickte, sprang auf und wollte zur Mutter, um ihr Gute-Nacht zu wünschen. Doch als Joanna sah, dass ihre Mutter noch immer gedankenverloren ins Buch starrte, drehte sie sich wortlos um, lächelte ihrem Vater zu und verließ das Zimmer.
Der Vater blickte traurig hinüber zum Lehnstuhl, wo seine Frau saß. Er wusste, dass sie noch nicht einmal bemerkt hatte, was sich vor dem Kamin zwischen ihm und seiner Tochter abgespielt hatte. Seufzend erhob er sich, lief zum entgegengesetzten Ende des Zimmers und starrte trübsinnig durch das Fenster hinaus in den Schneesturm, der die Gegend fest in seinem Griff hielt.

Als die Standuhr in der Wohnstube die Mitternachtsstunde einläutete, lag Joanna schon lange im Bett und horchte auf das Knarzen in der Wand. Sie konnte nicht einschlafen. Zu sehr beschäftigte sie der Springteufel und die mysteriöse Warnung, die ihr Vater überbracht hatte.
Ob wohl ein Funken Wahrheit darin enthalten sein könnte?
Joanna wälzte sich unruhig im Bett hin und her und fand keinen Schlaf.
Wie sollte sie jemals die Wahrheit herausfinden, wenn sie es nicht versuchte und den Springteufel nach Mitternacht mittels des Schlüssels zum Leben erweckte?
Das Mädchen setzte sich auf und blickte in das Halbdunkel des Zimmers. Der Mond flutete den Raum mit seinen Silberstrahlen und verlieh ihm das Aussehen eines verzauberten Gemachs aus tausendundeiner Nacht. Dort drüben hingen ihre Kleider. Fein säuberlich zusammengelegt auf der Kommode. Der hohe Spiegel am Schrank zeigte ein Mädchen, das im Bett saß. Joanna wunderte sich, wie bleich ihr Gesicht wirkte. Die Augen saßen tief in den Höhlen, die Nase ragte zu spitz hervor. Wie bei Pinocchio, dachte sich das Mädchen.
Joanna mochte ihr Gesicht nicht. Sie hätte alles hergegeben, wenn sie ein anderes Gesicht bekommen könnte. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe...
Joanna schwang ihre Beine aus dem Bett und stand auf.
Aber natürlich – der Springteufel erfüllt doch einen Herzenswunsch, wenn man ihn nach Mitternacht aufzieht, dachte sie sich und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie fürchtete sich dennoch davor, ihren Plan in die Tat umzusetzen aus Angst vor den unangenehmen Konsequenzen, welche damit einhergehen mochten. Aber schließlich überwog die Neugier.
Auch wenn es nicht funktionieren sollte, so habe ich doch die Gewissheit, dass alles bloß ein dummer Aberglaube ist – dermaßen sprach sie sich Mut zu.
Sie setzte ihre nackten Füße auf den Holzboden und zuckte ob der Kälte zusammen. Dann stand sie auf und lenkte ihre Schritte zur Kommode, wo neben den Kleidern das arabische Springteufelkästchen lag. Mit zitternden Fingern fuhr sie über die fremdartigen Schriftzeichen, deren Haken und Spitzen sie frösteln machten, ohne dass das Mädchen hätte sagen können, warum.
Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie das kalte Metall des Schlüssels an der rechten Schachtelseite fühlte. Ihr Daumen und Zeigefinger legten sich auf das Schlüsselblatt und sie drehte ihn mehrmals. Joanna hörte das Klacken bei jeder Umdrehung, mit der die Feder im Inneren der Kiste weiter aufgezogen wurde. Der Schlüssel erreichte den Anschlag und sie ließ ihn los. Ein leises Surren ertönte und der Schlüssel begann seine rückwärts gewandte Bewegung.
Wann er wohl aufhören würde, sich zu drehen – so fragte sie sich bang. Ihr Mut schwand und schon wollte sie zurück zum Bett laufen, als das Geräusch des Kästchens erstarb. Joanna trat unwillkürlich einen Schritt zurück, doch nichts geschah.
Als das Mädchen einen Moment lang gewartet hatte und sich der Springteufel noch immer nicht zeigte, beschloss sie, das Kistchen zu untersuchen. Sie wollte feststellen, ob der Mechanismus möglicherweise beschädigt war. Vielleicht hatte sie die Feder überspannt und nun steckte der Bolzen fest?
Joanna nahm das Kästchen und schüttelte es. Ohne Ergebnis. Sie drehte es und versuchte es mit einem Klopfen. Wiederum passierte nichts. Sie brachte den Deckel ganz nah an ihr Gesicht, um zu sehen, wo der Bolzen eingehakt war, als es geschah.
Der Deckel des Kistchens sprang auf und ein verwischter Schatten schnellte dem Mädchen entgegen.
Noch ehe der Schmerz im Gesicht einsetzte, wusste Joanna, dass die metallischen Silberblitze, welche aus den Schlitzen in der Oberfläche des Springteufels herausragten, scharf wie Rasierklingen waren.

Der Vater erwachte schweißgebadet in seinem Bett. Er meinte, einen Schrei gehört zu haben, der durch die leeren Korridoren des Landhauses hallte. Doch nun war alles still. Die Mutter schlief, oder sie tat, als habe sie nichts gehört. Schon glaubte der Vater, dass er den Schrei lediglich aus einem Alptraum mit in das Wachsein geholt habe, als ein leises Tappsen von blanken Füßen auf dem Gang vor dem Schlafzimmer hörbar wurde. Die Schrittgeräusche kamen in unregelmäßigen Zeitabständen, was den Vater zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass sich hier jemand äußerst unsicher über den Gang bewegte. Er stand auf und sah sich nach einer Waffe um.
Das elterliche Schlafzimmer lag im Zwielicht des Mondes, das fächerartig durch die zugezogenen Fensterläden hereinsickerte und auf dem Holzboden ein Muster aus Strichen malte.
Der Vater entdeckte den schweren Spazierstock, der an der Kommode lehnte. Er lief hinüber, packte ihn und eilte zurück, vorbei am Bett und hin zur zweiflügeligen Schlafzimmertür. Er riss beide Flügel auf und starrte den Gang entlang, den in der Ferne eine bleiche Gestalt entlang schritt. Das Wesen, das sich auf den Vater zubewegte, war klein wie ein Zwerg und stützte sich beim Gehen an der Wand ab. Die Finger schürften über die Holztäfelung. Das schleifende Geräusch ließ den Vater erschaudern und er packte seinen Spazierstock fester. Ohne seine Nachtgläser war er nahezu blind.
„Wer ist da?“, rief er den Gang entlang. Die Antwort kam sofort:
„Ich bin es, Vater – deine Joanna!“
Der Vater musste lächeln. Aber natürlich war es seine Tochter. Wer hätte es auch sonst sein sollen? Wie konnte er nur so närrisch sein, schalt er sich.
„Hattest du einen Alptraum, meine Kleine? Dann komm zu mir ins Bett, ich beschütze dich vor den Nachtgespenstern“, rief er.
Je näher Joanna kam, desto besser erkannte sie der Vater. Das war ohne Zweifel seine Tochter, sagte er sich. Ihr weißes Nachtkleid wies am Kragen eine Wulst auf. Er sah es durch einen nebligen Schleier.
„Was ist das an deinem Hals? Hast du eine deiner Muschelketten angelegt?“, wollte er wissen.
„Nein, Vater. Warte noch ein wenig, du wirst bald verstehen, wenn ich nur nahe genug bin, dass du mich mit deinen nachtschwachen Augen sehen kannst. Bitte schließe sie für mich und öffne sie erst wenn ich es sage. Knie dich bitte hin, so dass du auf meiner Höhe bist. Ich möchte dich überraschen, so wie du mich überrascht hast!“
Der Vater blickte auf den Saum von Joannas Nachtkleid, das über den Boden schleifte und nur ab und an beim Vorwärtsstolpern die nackten Zehenspitzen des Mädchens sehen ließ. Dann tat er ihr den Gefallen, kniete sich nieder, wobei er Halt am Spazierstock fand und schloss die Augen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Er hörte wie das Rascheln des Kleides und das Schleifen der Hände im Verbund mit den tappsenden Schritten näher kam und lächelte. Als die Geräusche stoppten und nur noch das schwere Atmen von Joanna hörbar war, flüsterte sie:
„Schau mich an!“
Der Vater öffnete die Augen und der Anblick traf ihn wie ein Schlag. Seine Gedanken rasten.
Vor ihm stand zweifellos ein kleines Mädchen, ungefähr sieben Jahre alt. Das hatte es mit seiner Tochter gemein. Auch die Stimme klang zum Verwechseln ähnlich. Aber dennoch war es nicht mehr dasselbe.
Das Gesicht des Mädchens bedeckte ein arabeskes Muster an Schnitten, fremdartigen Schriftzeichen mit hakenförmigen Verzierungen gleich, welches es in ein Mosaik aus winzigen Fragmenten verwandelt hatten. Die Haut hing an den Schnittstellen wie abblätternde Farbe herab und entblößte die darunter liegenden Holzfasern.
Am Hals war die Haut abgepellt und hing als wulstiger Ring am Dekolletee des übergroßen Spielzeugs. Das fahle Mondlicht im Korridor fiel auf ein kompliziertes Geflecht von feinen Metallzügen, die am hölzernen Hals festgenagelt waren und den Kopf stützten. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Mechanik konnten die Metallstreben den Kopf bewegen.
Der Vater bedeckte mit der Hand seinen zum Schrei geöffneten Mund und riss die Augen weit auf. In ihnen spiegelte sich das Entsetzen, das seine Seele erkalten ließ und bis zur Stumpfheit betäubte. Hinter sich hörte er, wie der mechanische Puppenkopf der Mutter haltlos vom Halsstumpf fiel und über den Boden des Schlafzimmers rollte.
Das Mädchen, das einst Joanna gewesen war, grinste. Ihre Lippen waren so tief zerschnitten, dass sie beim Lächeln in grotesken Winkeln verschoben wurden. In den weit klaffenden Spalten bleichte der hölzerne Kieferknochen. Das Mädchen entblößte die aufgemalten Zähne im hölzernen Rachen und fragte mit vom Wahnsinn klirr aufgehellter Stimme:
„Wieso hast du mich und Mutter erschaffen?“
Der Vater erbebte unter einer Gefühlsaufwallung und sprach mit tränenerstickter Stimme:
„Verstehe doch – mein Leben besteht nur aus Arbeit, ich habe keine Zeit für eine echte Familie. Ich war so einsam, dass ich beschloss, meine Arbeiter anzuweisen, für mich zwei lebensgroße Spielzeuge zu bauen. So kamt ihr in die Welt. Aber es ist nicht so, dass ich euch nicht lieben gelernt habe, im Gegenteil: ich vergöttere euch, weil ihr um soviel perfekter seid, als echte Menschen! Ich gebe zu, dass deine Mutter ein paar Fabrikationsfehler hat, doch was ist das im Vergleich zu ihren Vorzügen? Sie ist eine bildhübsche Frau.“
Die Mädchenpuppe starrte ihn mit Glasaugen an und sprach kein Wort. Der Vater hob sein von Tränen benetztes Gesicht.
„Aber du bist nicht wie sie! Du bist eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Mechanik, das beste Automatenmodell auf dem Markt. Joanna, du bist wahrer handwerklicher Erfindungsgeist gepaart mit der schöpferischen Kraft des menschlichen Geistes. Du bist wahrlich perfekt!“
Kalt wie das Licht der Sterne waren die Glasmurmeln im aufgemalten Gesicht des Mädchens, das jetzt zerschnitten war und somit ihre wahre Identität preisgab. Kalt lächelte ihr Mund.
„Du bist ein schlechter Vater!“ Ihre mechanischen Stimmbänder knirschten.
Als sie den rechten Arm hinter dem Rücken hervorholte, blitzte die Klinge des Messers hell im Mondlicht. Die Hand fuhr mehrmals herab, drang tief in das Fleisch ihres Schöpfers ein und zerteilte es, so dass die feuchte Röte über das weiße Nachtkleid des Mädchens spritzte und die hellen Bahnen der Knochen aus dem zusammenbrechenden Körper ihres Vaters hervorbleichten.
Er lag mit verdrehten Gliedern auf dem Holzboden wie ein achtlos weggeworfenes Spielzeug. Das Mädchen legte den Kopf schief, wobei ein mechanisches Summen ertönte und die Metallzüge an ihrem Hals sich verschoben. Sie betrachtete ihr erstes Werk und fand es gelungen. Sie schwor sich, dass es nicht das einzige bleiben würde.
Das hölzerne Mädchen wischte das Messer an der zerschnittenen Brust ihres Erfinders ab und kniete sich nieder,  um in den Taschen des Bademantels nach etwas zu suchen. Sie fand es und ergriff den metallischen Gegenstand. Sie stand auf.
Ihr Weg führte sie hinaus aus dem Landhaus und hinein in die Welt des Fleisches, das wusste sie. Vorher jedoch würde sie sich mit Hilfe der mütterlichen Puderdosen zurecht schminken, so dass sie wieder als eine Lebende gelten konnte. Ihre Mädchengestalt würde es ihr erleichtern, den natürlichen Beschützerinstinkt der Frauen auszunutzen – ein verlorenes Kind, frierend in der Nacht und allein gelassen von seinen Eltern. So würde sie sich geben, um in die Häuser der Menschen einzuziehen, wo sie trachtete ihr begonnenes Werk fortzuführen.
Es war ein langer Weg, doch sie war gerüstet.
Mit einer fast zärtlichen Bewegung hob sie ihr Nachtgewand, ertastete das Loch in ihrer Körpermitte, das bei oberflächlicher Betrachtung wie ein Bauchnabel aussah und steckte den kleinen Schlüssel hinein, den sie bei ihrem Vater gefunden hatte. Sie drehte ihn und fühlte wie die Kraft in ihren erschöpften Körper zurückkehrte.
Dann stieg sie über den toten Fleischklumpen hinweg und betrat das elterliche Schlafzimmer auf der Suche nach den Schminkutensilien ihrer defekten Mutter, welche von den Dienstboten stets „Frau Maelzel“ genannt wurde.

ENDE


hm...kein Kommentar?
Liegts an der Qualität der Story?
 8O
Auf bald,

Markus


Offline Flightcrank

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    Ich hab' sie mir schon letzte Woche ausgedruckt und werde sie nächste Woche im Zug lesen. Hab' diese Woche noch Urlaub und bin nicht dazu gekommen...

    Werde mein Kommentar dann nächste Woche posten.  :)

    Gruß
    Flight  8)


    Offline Necronomicon

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      Offline ap

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        Zitat von: "Markus-K-Korb"
        hm...kein Kommentar?
        Liegts an der Qualität der Story?
         8O
        Auf bald,

        Markus


        Kommentar kommt, versprochen, ist ehrensache !!!! Aber ich brauch nochn bißchen Zeit, wenig Zeit zum lesen zur Zeit und noch weniger zum Kriticken verfassen...


        Hallo Freunde,

        alles klar - da war ich wohl etwas zu übereifrig und neugierig. Sorry.
        Ok - ich gedulde mich.
        :-)
        Auf bald,

        Markus

        PS: Das BLITZ-Gewinnspiel läuft noch bis zum 31.05 - ein von mir signiertes Buch gibts für Null-Euro! Psst - Weitersagen!
        ;-)


        Offline Flightcrank

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          So, hab' die Geschichte gestern Abend in der Bahn gelesen (hab' extra dafür mein aktuelles Buch "Nachts" von S. King unterbrochen :) ). Hmmmm was soll ich sagen!? Ich fand sie ok. Sie hat mich jetzt nicht vom Hocker gerissen aber ganz gut war sie schon. Wenn ich ihr eine Note geben müsste, wäre es wahrscheinlich eine 2-3. Ich bin ja nicht in der Position Dich zu kritisieren und das will ich auch nicht. Könnte selbst so eine Geschiche nicht schreiben, bzw. nie so gut schreiben wie Du... Jedenfalls hab' ich sowieso noch nicht all zu viele Kurzgeschichten gelesen und die ich gelesen hab' waren fast alle von King. Der hat viele bessere geschrieben aber auch einige schlechtere... ;-)

          Wie auch immer, ich fand sie ganz gut, mehr aber auch nicht.

          Gruß
          Flight  8)


          @Fllightcrank: vielen Dank für deine Meinung - und selbstverständlich bist du in der Position mich zu kritisieren - jeder Leser "darf" und kann das! Ich bin auch nicht jemandem böse deswegen. Als jemand, der mit seinen Geschreibsel an die Öffentlichkeit geht, muss man Kritik einstecken können - alles andere ist amateurhaft und dilettantisch.
          :-)
          Ich kann das Jammern von Autoren nicht mehr hören (vor allem im semiprofessionellen Bereich, wo ich selbst meine Position sehe), die glauben, dass jede Kritik an und für sich "böse" und "schlecht" sei und an ihrer ach so zarten Poeten-Seele nage. Denen möchte ich zurufen:

          "Vergesst den Quatsch!
          Her mit Kritik!"

          Solange sie auf den Text bezogen und konstruktiv geäußert ist, sollte man damit keine Probleme haben, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Kritik EINE Meinung ist - daneben gibt es sicher auch andere.

          Wie gesagt: Dank dir, Flightcrank, für deine Äußerungen.
          :-)
          Darf ich dir noch einen Tipp geben? Du schreibst, dass du bislang außer KING wenig Shortstories gelesen hast. Da gibt es für dich vieles zu entdecken, vor allem die Vorgänger von KING, denen er zu Dank verpflichtet ist...ich nenne nur mal einen Namen: EDGAR ALLAN POE. Dessen Stories sind der moderne Ausgangspunkt für Autoren wie King und Koontz! Wenn du mal über eine Ausgabe mit Poe-Stories stolperst (gibts bei jokers und dergleichen für nen Appel und n Ei) - kaufen! Du wirst es nicht bereuen!
          Oder du schaust dich natürlich in der "Edgar Allan Poes Phantastischen Bibliothek" (BLITZ) ein wenig um...da erscheint auch so manche Storysammlung von interessanten Autoren (ich nehme mich da jetzt bewusst raus, sonst wirkt das überheblich, und das will ich nicht sein).



          Auf bald,

          Markus


          Offline ap

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            sodala Markus, nun hab ich sie auch gelesen, besser spät als nie.  ;)  Sorry für die Verzögerung, aber irgendwie... weiß ich n icht wo die Zeit bleibt. Ich schlafe zu viel...  ;)

            Gefallen hat sie mir sehr gut !! Sie hätte qualitativ auf jeden Fall auch in dein Buch gepasst, eigentlich ist das eine deine besten Storys, finde ich. Der Schreibstil ist cool, es kommt Spannung und Atmo auf und man kan sich in die Figuren schön hinein versetzen. Vor Allem aber ist die Handlung interessant, zwar ist die Idee mit dem verzauberten Spielzeug vielleicht nicht so neu, aber sie ist interessant umgesetzt, und vor Allem ist ja das Ende, die Wendung zum Schluß, etwa gänzlich neues und unerwartetes. Und die Idee ist gut !! Ich hätte es zwar für geschickter gehalten, das ganze in die Zukunft zu setzen und aus dem "Holzspielzeug" (seiner Tochter/Frau) Androiden zu machen, aber so wirkt die Idee vielleicht doch noch etwas unheimlicher.
            Einziges Manko ist für mich, das eigentlich nicht ganz klar rauskommt, Warum das Mädchen dann ihren Vater umbringt, das Motiv ist nicht sehr deutlich beleichtet und läßt sich letztendlich blos mit beginnendem Wahnsinn erklären, was etwas dürftig ist.

            Und hey: "dass man den Springteufel niemals nach Mitternacht aufziehen dürfe!"
            hehe das mußte ich grinsen und an die GREMLINS denken, die darf man ja auch nich tnach Mitternacht füttern.  ;)

            hat mir gefallen!

            mfg
            ap


            Hallo ap,

            freut mich sehr, dass du meine Story gelesen und mir deine Anmerkungen dazu geschrieben hast!
             :D

            Ich stimme mit dir in vielen Punkten überein. Es ist richtig, wenn du erwähnst, dass die Idee vom verzauberten Spielzeug nicht neu ist und beifügst, dass die Umsetzung jedoch gelungen ist. Das mit dem verzauberten Spielzeug findet sich in vielen Stories und Romanen, u.a. bei Clive Barkers Zauberwürfel in "Hellraiser". Wenn ich bei jeder Story, die ich im Kopf habe, genau nachforschen würde, ob es Elemente hiervon schon irgendwo anders gegeben hat, werde ich wahrscheinlich immer fündig werden. Und wenn ich dann mir dann sage - "das darfst du nicht schreiben, weil es in anderer Form schon mal da war" - dann werde ich wahrscheinlich sehr wenig zu schreiben haben.
             ;)

            Denn - irgendetwas war immer schon mal da! Selbst Goethe hat sich von anderen Stories inspirieren lassen - aber nicht, um sie zu kopieren, sondern um etwas Eigenes daraus zu machen!
            Meiner Meinung nach kommt es auf die Umsetzung an. Das Verhältnis sehe ich so wie den Unterschied zwischen einer detailgetreue Kopie einer Kuckucksuhr, oder einer Standuhr. Beides benutzt dasselbe Element (Funktionsweise), aber die Standuhr ist eine Weiterentwicklung und Eigenkonzeption dieses Elements, während die Kopie lediglich ein Nachbau ist, ohne eigene Ideen.

            Ja, richtig erkannt - das "nicht nach Mitternacht aufziehen" ist eine Hommage an GREMLINS. Dieses Verbot war für mich das eigentlich Spannendste des Films, weil man genau wusste, dass "er es tun wird", aber gleichzeitig nicht genau ahnte, was passieren würde...aber es würde schrecklich sein, das war klar...
             :twisted:

            Dass ich das Szenario in die Zukunft verlegen sollte, finde ich nicht interessant. Die Figuren der Tochter und der Frau sind ja bereits eine Art Puppe, Android, Roboter - allerdings aus Holz mit mechanischem Innenwerk (einer Uhr vergleichbar) und nicht aus Metall. Aber das Szenario Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft ist für die Aussage der Story nicht wesentlich. Ist halt Geschmackssache, was man lieber mag, denke ich.
             ;)

            Was mich noch interessieren würde...kann jemand mit dem Namen der in der Story beschriebenen Familie etwas anfangen..."Maelzel"?

            Das ist nämlich auch noch eine kleine Hommage...ich liebe solche kleinen, versteckten Hommagen (sind auch viele in meinem Buch "GRAUSAME STÄDTE" drin)...

            Auf bald,

            Markus ;)


            Offline ap

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              Zitat von: "Markus-K-Korb"

              Meiner Meinung nach kommt es auf die Umsetzung an.


              dem möchte ichmich vorbehaltlos anschließen, ist dir ja auch gut gelungen.  ;)

               
              Zitat von: "Markus-K-Korb"

              Ja, richtig erkannt - das "nicht nach Mitternacht aufziehen" ist eine Hommage an GREMLINS. Dieses Verbot war für mich das eigentlich Spannendste des Films, weil man genau wusste, dass "er es tun wird", aber gleichzeitig nicht genau ahnte, was passieren würde...aber es würde schrecklich sein, das war klar...
               :twisted:


              hehe ja, ichliuebe solch coole Hommagen.



              Zitat von: "Markus-K-Korb"

              Was mich noch interessieren würde...kann jemand mit dem Namen der in der Story beschriebenen Familie etwas anfangen..."Maelzel"?


              leider nein. Ich hab mir zwar schon sowas gedacht, weil du am Schluß der Geschichte doch recht deutlich darauf hinweist, aber "erkannt" habe ich diese Hommage nicht. Sagt mir nix sorry...  :(


              Hallo ap,

              hm...bevor ich das Rätsel um den Namen "Maelzel" auflöse...hat vielleicht noch jemand anderes eine Idee?
               ;)

              Auf bald,

              Markus


              Offline ap

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                Hallo ap,

                was es zu gewinnen gibt?

                Erfahrung, Wissen, Weisheit...
                 ;)

                Auf bald,

                Markus