Haruki Murakami: KAFKA AM STRAND (Review inside!)

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Lionel

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http://www.amazon.de/Kafka-am-Strand-Haruki-Murakami/dp/3442733235/ref=pd_bbs_sr_1/028-6157709-9742136?ie=UTF8&s=books&qid=1183751422&sr=8-1



Aus der Amazon.de-Redaktion
Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele? Haruki Murakami formuliert es etwas anders, ist aber in Kafka am Strand wieder den großen Fragen nach Identität, Wahrnehmung und Wirklichkeit auf der Spur. Er knüpft dabei erklärtermaßen an seinen ersten Erfolg, Hard-boiled Wonderland, an, inhaltlich wie formal: Zwei Geschichten werden parallel erzählt, ohne dass zunächst klar würde, was die handelnden Personen miteinander verbindet. Da ist zum einen Kafka, der an seinem 15. Geburtstag ausreißt und vor einer düsteren Prophezeiung seines Vaters auf die Insel Shikoku flüchtet. Er schließt Freundschaft mit dem Bibliothekar Oshima -- für manche Überraschung gut -- und verliebt sich in die wesentlich ältere Saeki.

Im Mittelpunkt des anderen Erzählstrangs steht Nakata, der Katzenflüsterer, dessen Geistesschwäche auf einen mysteriösen Vorfall im Jahre 1944 zurück geht. Jetzt glaubt er in einen Mordfall verwickelt zu sein und verlässt Tokio. Unterwegs -- gerade hat es Blutegel geregnet -- trifft er den Fernfahrer Hoshino, auch ihr Weg führt schließlich in Oshimas Bibliothek. Diese dient als eine Art Scharnier zwischen den Welten, zwischen Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fantasie. Ihre Bücher sind für Kafka "lebendiger und fesselnder als die Menschen, die vor dem Bahnhof herumwimmeln". Er verliert sich allmählich in diesem "Zerrspiegel der Zeit", in erotischen Tagträumen -- sind es Träume? -- und Wahnvorstellungen: "Vielleicht habe ich meinen Vater durch meine Träume ermordet." Liebt er die 15-jährige Saeki oder die alte?

Auch die Leser verlieren, nämlich irgendwann das Interesse an diesem hormongeplagten Halbstarken. Wie möglicherweise der Autor, der auf der anderen Seite einen ergreifend tragikomischen Helden präsentiert: "Nakata hat eigentlich keine Meinung. Er mag Aal", definiert dieser japanische Schwejk sich selbst -- inmitten philosophischer Seifenblasen ein erfreulich nüchternes Motto. Die besten Szenen mit ihm und Hoshino könnten von Beckett stammen -- zwei Landstreicher auf Sinnsuche.

Ist das ein guter Roman? Und wenn ja, wie viele? "Mein Road-Movie-Roman" (Murakami), magischer Realismus, Seins-Fiktion? Nach einigen Durchhängern endet die "Probefahrt auf einer gigantischen Achterbahn" rasant. Murakami-Fans, die erst ab Seite 300 richtig warm werden, werden sich freuen. Murakami-Sympathisanten halten sich an Nakata oder auch Sätze wie diesen: "Erinnerungen sind das, was Ihren Körper von innen wärmt." --Patrick Fischer -- Dieser Text bezieht sich auf eine andere Ausgabe: Gebundene Ausgabe .

Kurzbeschreibung
Der 15-jährige Kafka Tamura reißt von zu Hause aus und flüchtet vor einer düsteren Prophezeiung seines Vaters auf die Insel Shikoku. Seine abenteuerliche Reise führt ihn in eine fremde Stadt, wo er der faszinierenden Bibliotheksleiterin Saeki begegnet und ihr verfällt. Er macht die Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen alten Mann, der mit Katzen sprechen kann, und gleitet ab in eine fremde, seltsame Welt. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Wo endet diese Reise voller rätselhafter Begegnungen und labyrinthischer Wege?






Hm, Reviews sind nicht NUR überschwänglich, sieht man auch in der Kurzbeschreibung, aber sind genug positive Stimmen. Klingt wirklich interessant irgendwie...Hab da "Kikujiros Sommer" im Kopf, can't help it..
« Letzte Änderung: 08. August 2007, 13:29:42 von Lionel »


Lionel

  • Gast
Wär das nicht auch was für dich, Gunther? Klingt so nach "sich in Träumen verlieren"..irgendwie schön. Schon mal von dem Autoren gehört?


Offline Thomas Covenant

  • Die Großen Alten
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    Ich weiss nicht. Mir fehlt da etwas das Spannungs bzw. übersinnliche Element.
    Nach solchen Büchern greife ich selten-Ausnahme die Bücher von John Irving- der ist ja ein Meister der Tragikcomic. Da weiss ich aber genau was mich erwartet. Der hier wär ein Experiment!


    So ich habs jetzt angefangen und bin zu 3/4 durch und ich muss sagen, ich bin absolut begeistert. Mangelde Spannung kann ich dem Buch bis jetzt nicht vorwerfen, den immer wen das Interese an einem der Handlungszweige absackt, fängt wieder ein anderer an. Dazu kommt ein wunderschöner Schreibstil und auch an Tiefe mangeld es an Kafka am Strand nicht.
    Bis jetzt hat mich das Buch komplett überzeugt und ich würde es jeden weiterempfehlen. Ein entgültiges Statement gibt es wen ich das Buch komplett fertig gelesen habe


    Lionel

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    Oh, das klingt ja äußerst positiv. Danke für dein Feedback. Werd ich von demher bestimmt noch antesten. Sag dann mal Bescheid, wennde ganz durch bist. :)



    Lionel

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    Shit, ich hatte zuerst bei buch.de bestellt, dort aber die gesamte Bestellung gecancelt. Dann bei amazon.de. Jetzt kann ich beides nimmer stornieren, das heißt es trifft doppelt ein. Wenn jemand für nen 10er das Buch abgreifen will, ich bring es gerne mit aufs Treffen.


    Lionel

    • Gast


    http://www.amazon.de/Kafka-am-Strand-Haruki-Murakami/dp/3442733235/ref=pd_bbs_sr_1/303-2141630-8614603?ie=UTF8&s=books&qid=1186566994&sr=8-1


    Der 15-jährige Kafka Tamura reißt von zu Hause aus, da er sein Dasein nicht mehr ertragen kann. Sein Vater ist ihm tiefst zuwider, er hat keinerlei Verbindung zu ihm. Seine Mutter hat ihn verlassen als er ein kleiner Junge war und seine Schwester mitgenommen. Einen Grund weiter im Tokioter Distrikt Nakano zu bleiben, gibt es für Kafka nicht. Er beschließt nach Kawamatsu auf der Insel Shikoku zu gehen. Warum weiß er nicht. Aber es zieht ihn dort hin. Genauso gut hätte er nach Kobe oder sonstwohin gehen können, doch etwas in seinem Inneren leitet ihn. Stets ist er im Zwiegespräch mit seiner inneren Stimme, "Krähe". Kafka ist tschechisch und bedeutet Krähe, wie wir später erfahren werden. In Kawamatsu angekommen, sucht er sich ein Hotel und besucht jeden Tag die private Bibliothek der Stadt. Bücher sind seine Welt, darin kann er sich verlieren. Während Kafka sein Abenteuer in Kawamatsu bestreitet, ist der ältere geistig behinderte Nakata auf der Suche nach der verschwundenen Katze Goma. Seit einem Unfall in seiner Kindheit ist Nakata geistig zurückgeblieben, hat aber die Fähigkeit mit Katzen zu kommunizieren und nimmt Aufträge an, verschwundene Tiere wieder zu finden. Als er auf den geheimnisvollen Katzenmörder Johnnie Walker trifft, der streunende Katzen brutal tötet, um eine Zauberflöte daraus zu bauen, und diesen im Affekt tötet, ist er auf der Flucht vor der Polizei - und auf der Suche nach innerer Erfüllung. Gemeinsam mit dem jungen LKW-Fahrer Hoshino macht er sich auf nach Kawamatsu, in der Hoffnung dass alles gut wird. Die Stationen von Kafka und Nakata kreuzen sich, ohne dass sie sich je begegnen. Wo besteht die Verbindung? Und was hat es mit dem geheimnisvollen Fluch auf sich, den Kafkas Vater seinem Sohn auferlegt hat, dass er wie einst der thebanische König Ödipus seinen Vater töten und mit seiner Mutter und Schwester schlafen würde? Ein Fluch, vor dem Kafka bereits sein ganzes Leben flüchtet. Als Kafkas Vater tatsächlich ermordet wird und Kafka auf die geheiminisvolle Bibliotheksleiterin Saeki trifft, eine Frau Mitte 50, die tatsächlich seine Mutter sein könnte und die er begehrt, gerät die Situation außer Kontrolle. Vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass Kafka am Tag des Mordes mit einem Blackout im Wald aufwacht, sein Hemd blutverschmiert, die Erinnerung an das zuvor Geschehene verblasst. Traum und Realität verschwimmen, aber am Ende muss das Gleichgewicht der Welt wieder hergestellt werden. Und wenn es im Traum geschieht...

    Das ist jetzt wirklich nur eine sehr grobe Inhaltsangabe. In dem Buch kommen so viele Details und Wendungen vor, dass man wohl 5-6 Seiten schreiben müsste, um den Leser vollständig ins Bild zu rücken.  Soll aber ja auch nicht Sinn der Sache sein, denn, vorab gesprochen: Das Buch ist eine Bombe und die knapp 640 Seiten werden zu keiner Sekunde langweilig und sollten von jedem geneigten Leser schnellstmöglich konsumiert werden. Allerdings muss ich eine Warnung aussprechen, denn jedermanns Sache wird es sicher nicht sein. Der Schreibstil ist eher typisch japanisch, äußerst poetisch und deskriptiv, Dialoge gibt es nicht so viele, und wenn doch, dann äußerst beiläufig, sachlich und kurz. Man erkennt viele Versatzstücke aus japanischen Filmen wieder, die auch eher mit Bildersprache und auf sparsamer Diskursebene funktionieren. Man denke nur an die enorme visuelle Kraft von Kitanos Strandmotiven, die faszinierende Unaufgeregtheit in "19" oder die verspielte träumerische Eleganz in "Kikujiros Sommer". In eine ähnliche Kerbe schlägt das Buch - zum Teil. Denn wo in Kitanos kinderkompatiblen Roadmovie Humor und Alles-wird-gut-Stimmung vorherrschen, bietet uns Murakami hier von allem etwas. Auch Humor, aber eher wenig. Stattdessen sieht sich der Leser hier auch mit erotischen Fantasien konfrontiert, hart an der Grenze zur Pornographie - wobei dieser Aspekt nie überhand nimmt, unpassend oder unangenehm wirkt. Auch die ein oder andere "Splatter"-Szene kommt vor (vor allem beim Abschlachten der Katzen oder dem Mord an Johnnie Walker), ich schreibe das bewusst in Anführungszeichen, da das Buch mit Horror oder Splatter ungefähr so viel zu tun hat wie Boris Becker mit dem Papst. Was ich letztlich damit sagen will, ist, dass das Buch sicher kein Kinderbuch ist, sondern genügend Elemente beinhaltet, die den geneigten erwachsenen Leser bei der Stange halten. Um einen Eindruck von dem faszinierenden, verträumten, typisch japanischen Schreibstil zu geben, eine Kostprobe, irgendwo zwischen Melancholie und Nihilismus:


    Hin und wieder hat das Schicksal Ähnlichkeit mit einem örtlichen Sandsturm, der unablässig die Richtung wechselt. Sobald du deine Laufrichtung änderst, um ihm auszuweichen, ändert auch der Sturm seine Richtung, um dir zu folgen. Wieder änderst du die Richtung. Und wieder schlägt der Sturm den gleichen Weg ein. Dies wiederholt sich Mal für Mal, und es ist, als tanztest du in der Dämmerung einen wilden Tanz mit dem Totengott. Dieser Sturm ist jedoch kein beziehungsloses Etwas, das irgendwoher aus der Ferne heraufzieht. Eigentlich bist der Sandsturm du selbst. Etwas in dir. Also bleibt dir nichts anderes übrig, als dich damit abzufinden und, so gut es geht, einen Fuß vor den anderen zu setzen, Augen und Ohren fest zu verschließen, damit kein Sand eindringt, und dich Schritt für Schritt herauszuarbeiten. Vielleicht scheint dir auf diesem Wege weder Sonne noch Mond, vielleicht existiert keine Richtung und nicht einmal die Zeit. Nur winzige, weiße Sandkörner, wie Knochenmehl, wirbeln bis hoch hinauf in den Himmel. So sieht der Sandsturm aus, den ich mir vorstelle.
    [...]
    Natürlich kommst du durch. Durch diesen tobenden Sandsturm. Diesen metaphysischen, symbolischen Sandsturm. Doch auch wenn er metaphysisch und symbolisch ist, wird er dir wie mit tausend Rasierklingen das Fleisch aufschlitzen. Das Blut vieler Menschen wird fließen, auch dein eigenes. Warmes, rotes Blut. Du wirst dieses Blut mit beiden Händen auffangen. Es ist dein Blut und das der vielen.
    Und wenn der Sandsturm vorüber ist, wirst du kaum begreifen können, wie du ihn durchquert und überlebt hast. Du wirst auch nicht sicher sein, ob er wirklich vorüber ist. Nur eins ist sicher. Derjenige, der aus dem Sandsturm kommt, ist nicht mehr derjenige, der durch ihn hindurchgegangen ist. Darin liegt der Sinn eines Sandsturms.



    Oder:

    Ständig lauert die Prophezeiung wie ein dunkles, trübes Gewässer.
    Noch lauert sie unheimlich an irgendeiner unbekannten Stelle. Aber wenn die Zeit kommt, wird sie lautlos überfließen, deine Zellen eine nach der anderen kalt durchdringen, und du wirst in dem Gefühl, gleich in dieser grausamen Flut zu ertrinken, nach Luft ringen. An einem Luftschacht an der Decke wirst du kleben und in Panik nach der frischen Luft im Freien schnappen. Aber die Luft, die du einsaugst, ist heiß und trocken und verbrennt dir die Kehle mit ihrer Hitze. Mit vereinten Kräften fallen die Extreme Wasser und Trockenheit, Kälte und Hitze gleichzeitig über dich her.
    Auf der ganzen Welt findet sich nirgends ein Ort, der dir Zuflucht bieten kann - obwohl schon das kleinste Eckchen genügen würde. Suchst du die Stimme der Prophezeiung, herrscht nur tiefes Schweigen. Doch kaum suchst du das Schweigen, dröhnt sie unablässig, Als hätte jemand auf einen geheimen, in deinem Kopf versteckten Knopf gedrückt.
    Dein Herz gleich einem großen, von langem Regen angeschwollenen Fluß. Alle Orientierungspunkte sind restlos in seinen Fluten verschwunden, vielleicht schon an irgendeinen dunken Ort davongeschwemmt. Immerfort prasselt der Regen auf den Fluss. Und sooft du in den Nachrichten eine überflutete Landschaft siehst, denkst du: Ja, genauso sieht es in meinem Herzen aus.



    "Kafka am Strand" beginnt mit 3 abwechselnd ablaufenden Handlungssträngen. Zum einen Kafkas Vorbereitungen zum Aufbruch, das Erläutern seiner Vergangenheit und seiner Gefühlswelt. Dann - wie bereits erwähnt - Nakatas Suche nach der Katze Goma, seiner Begegnung mit Johnnie Walker und seiner weiteren Reise. Der dritte Strang, der relativ schnell abgehandelt wird, besteht aus Verhören des Militärs aus den 1940er Jahren, kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs. Damals hat sich in einem Wald irgendwo in Japan ein seltsames Phänomen abgespielt. Eine (Grundschul)Lehrerin ging mit ihrer Klasse in den Wald, um einen Ausflug zu machen und Pilze zu sammeln. Wie aus heiterem Himmel erlagen jedoch alle Schüler, nach und nach, zum Teil aber auch gleichzeitig, einer Ohnmacht. Die Bewusstlosigkeit konnte nie erklärt werden. Der einzige Junge, der damals nicht sofort wieder aufwachte und nach einem langen Koma eine geistige Behinderung erlitt, in der Form, dass er sich an nichts mehr erinnerte, weder lesen noch schreiben konnte, war der kleine Nakata - der Protagonist aus der Gegenwart, der in der Lage ist mit Katzen zu kommunizieren. Befragt wurden die Lehrerin, der behandelnde Arzt, ein Polizeibeamter und sechs Schüler. Bis heute lassen sich die Vorkommnisse nicht erklären, wenngleich die Lehrerin in einem späteren Brief an den Arzt mitteilt, dass sie mehr wusste als sie zugab.

    Der Handlungsstrang, der um Kafkas Geschichte geht, nennen wir ihn ruhig Haupthandlungsstrang, wird in der Gegenwart erzählt und aus der Ich-Erzähler-Position. Dadurch wird auf narrativer Ebene eine extreme Realitätsnähe erzeugt, der Diskurs scheint geradezu greifbar. Genauso auf inhaltlicher Ebene: Murakami erzählt "hautnah", Details gibt es für ihn nicht bzw. die ganze Geschichte besteht nur aus Details. Man hat das Gefühl als wäre man Kafka selbst, als würde man ihn 24 Stunden am Tag begleiten. Ein mal mehr also das Phänomen der Beiläufigkeit, man isst, man duscht, man liest, man geht auf die Toilette u. s. w. Viele werden diesen Stil langweilig finden, andere wiederum faszinierend und spannend - zu letzterer Kategorie darf ich mich zählen.
    Nakatas Handlungsstrang hingegen wird in der 3. Person Singular sowie in der Vergangenheit erzählt - obwohl zeitlich beide Stränge parallel ablaufen. Ein klares Zeichen der Hierarchie der einzelnen Geschichten, die letztlich doch zu einer zusammengeführt werden und nie für sich alleine standen.

    Geradezu genial finde ich die surreale Komponente in Murakamis Schaffen. "Verantwortung entsteht bereits im Traum." Damit will Murakami sagen, dass das Unterbewusstsein und Bewusstsein untrennbar miteinander verbunden sind, in unseren Träumen werden Ängste und Wünsche in die Realität projeziert. Und bereits in unseren Träumen können wir uns schuldig machen, indem wir unmoralische Handlungen vornehmen, oder uns profilieren, indem wir das Richtige tun. Als Kafka auf seinem Weg die attraktive Sakura kennen lernt, denkt er sofort, das könne seine Schwester sein. Die Wahrscheinlichkeit liegt zwar nahezu bei Null, aber es liegt im Bereich des Möglichen. Als er in einem erotischen Traum mit ihr schläft, stets im Hinterkopf, dass sie seine Schwester sein könnte, begeht er eine moralisch verwerfliche Handlung, die sich in die Realität projeziert. Der Hintergedanke Kafkas dabei ist, den Fluch, der ihm von seinem Vater auferlegt wurde, loszuwerden. Auch Saeki, die Bibliotheksleiterin, die einst ihren Geliebten verlor und seitdem ihr Leben aufgegeben hat, ist Bestandteil von Murakamis bzw. Kafkas Traumwelt. Kafka, der Unterschlupf in ebendieser Bibliothek findet wo er wohnen und arbeiten kann, erscheint jede Nacht der Geist der 15-jährigen Saeki. Letztlich begehrt Kafka beide, das Mädchen in seinem Alter und die "reale" etwas über 50-jährige Frau. Ist sie aber seine Mutter? Erfüllt sich der Fluch? Und was für eine Rolle spielt der geheimnisvolle, eloquente aber geschlechtslose Bibliotheksmitarbeiter Oshima, der Kafka stets mit Rat und Tat zur Seite steht?
    Ein weiteres surreales Element, wo der Leser sich wiederum fragt, wo besteht die Verknüpfung zur Realität, ist der Umstand, dass, während Kafkas Vater ermordet wird und Kafka sich nach einem Blackout mit blutverschmiertem Hemd im Wald wiederfindet, Nakata den ominösen Sadisten Johnnie Walker auf die gleiche Weise tötet, mit diversen Messerstichen. Hat Nakata in Wirklichkeit Kafkas Vater umgebracht? Aber wenn ja, warum? Wo besteht die Verbindung? Oder war es doch Kafka selbst, wie es sein Vater ihm prophezeit hat? Aber Kafka weilte währenddessen auf Shikoku, sein Vater wurde zu Hause in Tokio umgebracht. Ein Ding der Unmöglichkeit für ihn, an zwei Orten gleichzeitig gewesen zu sein. Oder beginnt die Verantwortung für eine Tat wirklich im Traum...?
    Murakami schreibt einfach wie ein junger Gott. Er lässt persönliche Vorlieben einfließen, sei es nun über Fachgebiete (beispielsweise liest Kafka Bücher über den zweiten Weltkrieg), Musik (von Beethoven bis Radiohead), literarischen Präferenzen (zitiert werden Rousseau, de Sade, Dickens, Kafka..) bis Filme (Francois Truffaut). Es macht einfach Spaß, zu lesen, und dabei immer wieder neue Dinge zu lernen und zu erfahren.

    Um noch ein wenig zur Geschichte an sich zu sagen: Als Nakata sich mit dem jungen Hoshino auf den Weg macht, um den geheimnisvollen Eingangsstein zu finden, ein Stein, der den Zugang zu einer Welt gewährt, in der alles wieder ins Lot kommen kann, die Dinge, die verändert wurden, wieder in Ordnung gebracht werden können, betritt Kafka am Ende diese geheimnisvolle Welt (Stichwort Wald - wie bereits bei dem Vorfall in Nakatas Kinheit während der 40er Jahre). Dort findet er die Antworten auf einige Fragen, andere bleiben aber unbeantwortet. Obwohl die beiden Protagonisten, Nakata und Kafka, sich nie über den Weg laufen, sind ihre Handlungsstränge (Orte, Personen, Umstände) stets miteinander verknüpft und letztlich dient Nakata als Vorbereiter für Kafkas schlussendliche Aktionen. Er öffnet den Eingangsstein, Kafka betritt die Welt des Surrealen, auf der Suche nach Antworten.
    Die Motive mit denen Murakami sich beschäftigt, sind die Suche nach Glück, das Streben nach innerer Zufriedenheit und Erfüllung, die angestrebte Platz im Leben, kontrastiert mit der inneren Agonie der Einsamkeit, stets zwischen Hoffnung und Suizidgedanken. Letztlich soll man zufrieden sein mit dem, was man hat und weiter geht es immer irgendwie. Genauso wie für Kafka, der sich für verflucht hält und für den sein Leben beendet ist, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.
    Am Ende versteht der Leser das ein oder andere rätselhafte Versatzstück, aber genügend Dinge sind immer noch so komplex, dass man sich kopfschüttelnd nach Verbindungen oder Aufklärungen fragt. Also mir ist nach Beendigung des Buches einiges immer noch nicht so klar gewesen, was genau, möchte ich aber nicht verraten, das könnte dem ein oder anderen die Lust am Lesen verderben. Was unterm Strich bleibt, ist dennoch ein absolut gigantisches Buch, ein Traum, in dem man sich verlieren kann, ein wunderschöner metaphorisch-poetischer Schreibstil, der einen alles vergessen lässt. Murakami ist schlagartig in die Riege meiner Lieblingsautoren aufgestiegen und die nächsten Bücher, die ich von ihm angehen werde, sind "Naokos Lächeln" und "Mr. Aufziehvogel". Ich kann jedem nur eine klare Empfehlung für das hier rezensierte Werk aussprechen, ihr werdet nicht enttäuscht sein!
    « Letzte Änderung: 09. August 2007, 14:05:30 von Lionel »


    Lionel

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    Also für dich wärs DEFINITIV was, Gunther, da wüd ich Marco's linkes Ei drauf verwetten! :lol:


    Offline JasonXtreme

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      Und bevor er hier meine Eier vertickert les ich das doch glatt selber mal^^
      Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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      Lionel

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      Und bevor er hier meine Eier vertickert les ich das doch glatt selber mal^^


      Mach das, du wirst es nicht bereuen.


      Offline Thomas Covenant

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        Hammers Review Lionel und in der Tat hat dein Erguss bei mir das Bedürfnis geweckt das Buch zu lesen.
        Geht auf meinen Wunschzettel und Kompliment zu deiner Schreibe. Wenn du gut drauf bist und begeistert bist, setzt du Masstäbe :).


        Lionel

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        Nett von dir Gunther. :)

        Wie gesagt: DIR gefällt es sicher, merks dir mal vor. ;)


        Lionel

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        So ich habs jetzt angefangen und bin zu 3/4 durch und ich muss sagen, ich bin absolut begeistert. Mangelde Spannung kann ich dem Buch bis jetzt nicht vorwerfen, den immer wen das Interese an einem der Handlungszweige absackt, fängt wieder ein anderer an. Dazu kommt ein wunderschöner Schreibstil und auch an Tiefe mangeld es an Kafka am Strand nicht.
        Bis jetzt hat mich das Buch komplett überzeugt und ich würde es jeden weiterempfehlen. Ein entgültiges Statement gibt es wen ich das Buch komplett fertig gelesen habe
        Oh, das klingt ja äußerst positiv. Danke für dein Feedback. Werd ich von demher bestimmt noch antesten. Sag dann mal Bescheid, wennde ganz durch bist. :)
        Na, wie war / ist dein finales Urteil?

        @Marco: schon mal reingeschnuppert?


        Offline JasonXtreme

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          Noch nicht, kommt garantiert nach TERROR dran ;) bis Du wieder in Germany residierst hab ichs durch
          Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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          Offline JasonXtreme

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            Also ich habs jetz durch und muss definitiv eines sagen: Mein Fall war es überhaupt nicht. Die ersten 100 Seiten packten mich kein bisschen - es war mir einfach - wie Gert oben auch sagt - zu japanisch geschrieben (obwohl ich nicht weiss wie das eigentlich aussieht :D) und irgendwie ist mir das ganze Buch auch zu verquer und... ich weiss nicht an was es lag - es packte mich null - aber ich kann nachvollziehen wie andere das Buch als Meisterwerk ansehen können, das ist auch klar.

            Für mich persönlich schliesse ich den Autor auf jeden Fall aus - ich werde sicher nichts mehr von ihm lesen.
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            Offline JasonXtreme

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              Macht doch nix Gert :) es war immerhin so, dass ichs ganz gelesen habe - da gibts andere Kandidaten die ich sofort wieder wegleg :D es is einfach nicht mein Stil vom Erzählerischen her - dafür bekam ich schon genug gute Tipps von Dir mein Gutster
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              Lionel

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              Also "Naokos Lächeln" oder "Gefährliche Geliebte" (siehe Review) sind Geschichten über Leben, Sex und Liebe ohne jeglichen surrealen oder übersinnlichen Elemente. da steht "Kafka.." schon allein für sich. Vielleicht liegt dir eines dieser mehr...


              Offline JasonXtreme

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                Ja habs grade gelesen - das klingt eher nach meinem Gusto - diese Elemente haben für mich nämlich meine Meinung ausgemacht.
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                Offline Carpenter

                • Master of Horror
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                  Wow..da geb ich Murakami in die Suchmaschine ein - und finde sogar einiges, und dann so eine Mammutrezension. Hab es bisher nur überflogen, aber Kompliment für das Review, Lionel. Es scheint doch einige Murakamiliebhaber hier zu geben.
                  Dennoch muss ich sagen, dass ich Mr. Aufziehvogel mit Abstand am besten finde. Kafka am Strand ist aber ein in seinem Gesamtwerk sicher einzigartiges Buch.
                  “So ist das Leben. Wie schwer und tödlich unser Verlust auch sein mag, wie wichtig auch immer das, dessen wir beraubt wurden: Wir leben einfach weiter.
                  Selbst wenn nur noch die äußere Schicht unserer Haut übergeblieben ist und wir zu völlig anderen Menschen geworden sind, strecken wir die Hände nach der uns zugemessenen Zeit aus, holen sie ein und bringen sie schließlich hinter uns. Sooft ich darüber nachdenke, wie wir unermüdlich und meist ohne besonderes Geschick unsere alltäglichen Verrichtungen wiederholen, überkommt mich das Gefühl einer unendlichen Leere.”

                  (Haruki Murakami in Sputnik Sweetheart)


                  Offline Carpenter

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                    Hammers Review Lionel und in der Tat hat dein Erguss bei mir das Bedürfnis geweckt das Buch zu lesen.
                    Geht auf meinen Wunschzettel und Kompliment zu deiner Schreibe. Wenn du gut drauf bist und begeistert bist, setzt du Masstäbe :).

                    Also ich hatte es vor zwei Tagen ja nur überflogen und gerade eben richtig gründlich und genau durchgelesen. Ich muss sagen, das ist mit eine der besten Rezensionen, die ich je gelesen habe bzw. auf jeden Fall eine der emotionalsten. Ganz dickes Kompliment, Lionel. Ich hoffe, es handelt sich hierbei um einen Gast, der noch die ein oder andere Rezension hier verewigen wird.

                    Da Kafka am Strand nach Mr. Aufziehvogel ohnehin mein Lieblingsbuch vom Meister ist und ich es schon vor längerer Zeit gelesen habe, habe ich nach dieser Rezension wieder richtig Lust bekommen, es nochmal zu lesen. Danke!
                    “So ist das Leben. Wie schwer und tödlich unser Verlust auch sein mag, wie wichtig auch immer das, dessen wir beraubt wurden: Wir leben einfach weiter.
                    Selbst wenn nur noch die äußere Schicht unserer Haut übergeblieben ist und wir zu völlig anderen Menschen geworden sind, strecken wir die Hände nach der uns zugemessenen Zeit aus, holen sie ein und bringen sie schließlich hinter uns. Sooft ich darüber nachdenke, wie wir unermüdlich und meist ohne besonderes Geschick unsere alltäglichen Verrichtungen wiederholen, überkommt mich das Gefühl einer unendlichen Leere.”

                    (Haruki Murakami in Sputnik Sweetheart)


                    Offline JasonXtreme

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                      Leider wird da nix mehr kommen ;) der User ist nicht mehr im Forum vertreten ;) aber es dürfte noch das ein oder andere Review im Forum rumgeistern
                      Einmal dachte ich ich hätte unrecht... aber ich hatte mich geirrt.


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                      Offline skfreak

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                        Leider wird da nix mehr kommen ;) der User ist nicht mehr im Forum vertreten ;)

                        Sehr schade - ich hoffe immer noch das Gert zurückkommt.


                        Offline Carpenter

                        • Master of Horror
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                          Achso, gleicher User wie Flightcrank (oder: Markus  ;) ) gestern gemeint hatte?
                          Ja, hab ihn zwar nicht erlebt, scheint aber wirklich schade zu sein, da er offenbar ein kompetenter Reviewschreiber war. Die Zusammenhänge in Kafka hat er jedenfalls vorzüglich aufgezeigt. Ich könnte das so nicht, hab mich in der Vergangenheit auch schon dran versucht. :D
                          “So ist das Leben. Wie schwer und tödlich unser Verlust auch sein mag, wie wichtig auch immer das, dessen wir beraubt wurden: Wir leben einfach weiter.
                          Selbst wenn nur noch die äußere Schicht unserer Haut übergeblieben ist und wir zu völlig anderen Menschen geworden sind, strecken wir die Hände nach der uns zugemessenen Zeit aus, holen sie ein und bringen sie schließlich hinter uns. Sooft ich darüber nachdenke, wie wir unermüdlich und meist ohne besonderes Geschick unsere alltäglichen Verrichtungen wiederholen, überkommt mich das Gefühl einer unendlichen Leere.”

                          (Haruki Murakami in Sputnik Sweetheart)